15.12.2017 Endlich wieder in der EU

Ich habe einen Freudentanz aufgeführt in meiner Blechbüchse heute Abend nach einem ausgiebigen Aufenthalt in einer netten Bar auf der griechishen Insel Limnos inmitten der aegaeischen See. Der Grund: Ich habe die Türkei, wenn auch illegal, aber immerhin verlassen. Illegal deshalb, da ich die letzte für mich möglich Ausklarierungsstadt, Canakkale, nicht angelaufen habe, sondern gleich bis zur türkishen Insel Bozcaada durchgefahren bin. Dort haben mir ausgesprochen freudliche Beamte der Coast Guard gesagt, dass ich unbedings zurückfahren muß, um regelgerecht auszuklarieren. Auf meine Frage hin, was denn passieren würde, wenn ich direkt das land verlassen würde, konnten diese mir aber keine plausible Antwort geben, sondern nur ein Schulterzucken. Ich habe Canakkale deshalb nicht berücksichtigt, da ich das Leg zuvor wegen des sich beständig jeweils auf meinen kurs gelegten Gegenwinds nicht erreicht hatte und einen Ausweichhafen, Lapseki (Eingang der Dardanellen), angelaufen bin. Da war dann er Sprung nach Canakkale zu kurz für einen Zwischenstop und hätte mich meinen Absprungort Bozcaada an diesem Tag mehr nicht erreichen lassen. Da ich nicht vorhabe, dieses Land jemals wieder zu besuchen, ist die Androhung von Konsequenzen für diesen Fall für mich nicht wirklich interessant. Ich werde meinen Agenten in Istanbul, der die Einreiseformalitäten für mich erledigt hatte, über diese Situation unterrichten, damit er die Behörden über mein Fehlverhalten informieren kann und diese meinen Fall von Missachtung von behördlichen Anweisungen ggf. abschließen können.

Was mich allerdings überrascht hat, war die Wiedereinreise in die EU auf Limnos, Griechenland. Der Beamte in dem von mir wegen seiner Lage bevorzugten Hafen Moundrou unterrichtete mich bei meiner Vorstellung darüber, dass dieser Hafen kein Einklarierungshafen für die EU sei und ich deshhalb als erstes nach meiner Weiterreise auf die andere Seite der Insel in den offiziellen Einklarierungshafen für die EU fahren müsse. Auch er konnte keine Erklärung für diesen aus meiner Sicht Unsinn finden, zumal ich ihm über meine Erfahrungen aus diversen Auslandsflugreisen berichteten konnte, wo EU-Bürger die sog. fast lane (EU only) benutzen können und überhaupt nicht vorstellig werden müssen. Wo leben wir eigentlich?

Das ist aber nicht der einzige Grund für meine Hochstimmung in Bezug auf das Verlassen der Türkei. Ich bin dort sozusagen durch die Provinz gegangen, habe also nicht die immer wieder zitierten großen Marinas angelaufen, von denen ich auf meiner Route nicht eine einzige neben Ataköy (Istanbul) gefunden habe, sondern aus Gründen der Routenplanung ausnahmslos Fischereihäfen, von denen es sehr viele gibt. Dort allerdings gab es keine Menschen, mit denen ich auch nur ein Wort wechseln konnte, geschweige denn, dass man mir auch nur eine Angabe zu den Liegegebühren machen konnte. Allerdings habe ich stets hilfreiche Hände gefunden, die mir beim Festmachen meines Schiffes mit ihren speziellen und für mich durchaus neuen Tricks geholfen haben. Ohne jeglichen verbalen Austausch. Natürlich ist die Infrastruktur an diesen Orten eher jämmerlich. Es gibt natürlich kein WiFi im Hafen und schon gar nicht ein öffentliches WLAN-Netz. So blieben alle Versuche über meine Fahrt zu berichten für eine ganze Woche erfolglos. Auch mein UMTS-Stick (Service Provider 1&1) war funktionslos, da die Firma offensichtlich keine Kooparationspartner in der Türkei hat. Es scheint in dieser realen Welt ein wirklicher Mangel geworden zu sein, wenn man nicht elektronisch kommunizieren kann. Schrecklich!

Was das Nautische angeht, hat sich nichts geändert seit der Donau: Ändert sich mein Kurs, dann ändert sich konform dazu die Windrichtung auf Gegenkurs. Egal in welche Richtung ich fahre. Es ist wie verhext. Aus der Basisgeschwindigkeit von 6,3 Knoten (kein Wind, keine Strömung) unter Maschine werden bei den hiesigen Windstärken nur noch 3,5 bis 4 Knoten. Das macht jede Routenplanung zur Glückssache. Auffallend ist auch, dass der Starkwind entweder um 12:00 oder um 14:00 Uhr einsetzt, was nach dem Erscheinen der ersten Schaumkanten nur etwa 5 Minuten dauert, bis er Starkwind- oder Sturmstärke erreicht. Ebenso schnell flaut es dann aber auch wieder ab. Ich habe es dennoch immer vermocht, vor dem Sonnenuntergang meinen Zielhafen zu erreichen, denn ich bin aus Sicherheitsgründen fast immer bereits mit dem ersten Sonnenstrahl losgefahren. Jedenfalls war es ein tägliches Vabanque-Spiel, wie sich der Wind entwickeln würde und ob man sein Ziel erreichen konnte. Das kostet Nerven und generiert inneren Ärger, wenn man durchschnittlich jede Minute mit jedem Aufsetzer auf eine Welle einen Zehntelpunkt seiner Fahrt verliert und wieder eine Minute benötigt, dass das Schiff wieder auf die Ausgangsgeschwindigkeit beschleunigt. Fünf Schläge hintereinander bedeuten also gnadenlos einen halben Knoten Verlust, der erst sehr viel später wieder kompensiert wird. Im Mittel verliert man erheblich mehr Zeit durch den Wellen- als den Windeinfluß, denn letzterer wirkt deutlich gleichmäßiger. Leider bedingen sich beide Einflüsse. Reist man im Winter, so ist der Fahrtag stark begrenzt, will man nicht nach Sonnenuntergang ankommen. Im Dunkeln zu fahren und zu navigieren ist dabei nicht das Problem. Es sind eher unbekannte, nicht oder nur schlecht beleuchtete Häfen sowie fehlende Hände, die einem beim Finden eines geeigneten Liegeplatzes sowie bei der Leinenübernahme behilflich sein können.

Wie war die Route seit dem letzten Bericht: Vom Abwitterungshafen Yesilköy bin ich zunächst nach Marmaraeglesi gefahren, einem sehr schönen und gemütlichen Fischereihafen am Nordrand des Marmarameers. Von dort aus ging es nach Hosköy, da ich den eigentlichen Zielhafen, Sarköy am Eingang der Dardanellen, wegen des einsetzenden Gegensturms nicht vor Sonnenuntergang erreichen konnte. Dafür mußte ich das nächste Leg verkürzen und anstelle in Cannakale (den oben erwähnten amtlichen Ausklarierungshafen) machte ich Halt in Lapseki. Damit wurde eine direkte Fahrt zum lezten türkischen Hafen auf der Aegaeisinsel Bozcaada möglich. Dabei war eines immer gesichert: Machen die Dardanellen einen Knick, dann schwenkt auch der Wind in die entsprechende Gegenrichtung. Es ist kaum zu glauben, aber wahr.

Zur Abfahrt bereit bei Sonnenaufgang
Auch andere Schiffe sind in den Dardanellen so früh bereits unterwegs
Die Verkehrslage in den Dardanellen zu dem Zeitpunkt, an dem ich die Fahrwasserseite wechseln mußte. Darunter sind langsame und sehr schnelle (< 35 km/h) Schiffe
Ein ganz dicker Brocken beim Überholen
Kuriose Bauten säumen das Ufer der Dardanellen, wie hier das schiefe Hochhaus
Dieser Fischereihafen bietet auch bei Sturm fast Windstille
Die Nationalflagge darf natürlich genauso nicht fehlen wie die Moschee und das Minarett
Fischereihafenidylle
Man liegt hier gut und sicher zwischen den Trawlern

Heute habe ich nach einer mehr als 80 km langen Fahrt über die Aegaeis Griechenand erreicht und erstmals wieder in einer Kneipe ein Bier trinken können und Zugang zum Internet erhalten. Die Fahrt hierher war zwar wieder durch Gegenwind beeinflußt, dieser ließ mir allerdings einen kleinen Winkel und war stark genug, um mit einer stützenden Genua die Fahrt unter Motor zu beschleunigen. Nach Einfahrt in den großen Binnensee der Insel, der immerhin etwa 20 km Durchmesser hat, konnte ich sogar mit der Genua bei Rückenwind mehr als sieben Knoten erreichen, was auf dem Meer bisher einen Rekord darstellt. Bei angenehmen 22°C, strahlender Sonne und blauem Himmel war das natürlich ein Highlight. Hier werde ich nun eine Ruhepause einlegen müssen, da für die kommenden zwei Tage Sturm angesagt ist, dessen Vorboten bereits an meinem Schiff herumreißen. Hoffentlich halten die Leinen. Diese Ruhepause tut mir aber auch ganz gut, denn ich war jetzt eine Weile lang täglich auf See und das bei nicht ganz einfachen Bedingungen. Ich freue mich jedenfalls darauf, obwohl in diesem sehr kleinen Ort auch der Hund begraben ist. Alledings habe ich eine nette kleine Bar hier gefunden, in der es sich gut aushalten läßt bei netten Leuten, guten Getränken, Speisen und Internetanschluß. Einen Supermarkt der Extraklasse gibt es auch, allerdings einen mit ganz besonderen Charme. Zunächst kann man nicht glauben, dass es hier viel gibt, denn das Haus und der Verkaufsraum sind sehr eng. Die Waren stehen dicht gepackt in Regalen, dazwischen sehr enge Wege. Was am Ende zu erkennen ist, dass dieser kleine Laden wirklich den Ansprüchen eines Komplettversorgers gerecht wird, denn es gibt hier alles, zwar in unüberschaubarer Weise, aber dennoch ALLES! Vom technischen Detail über alle Lebensmittel in jeder Form bis hin zu Reinigungsmitteln und Kosmetik. Unglaublich bei dieser Enge. Ich bin jedenfalls begeistert über den Händlerspirit, der hier an den Tag gelegt wird.

Sicher vertäut im Hafen auf Limnos, um dem kommenden Sturm zu trotzen. Der Windgenerator ist angebunden, um diesen nicht unnötig zu verschleißen bei sehr starkem Wind, zumal, wenn die Batterien voll sind.
Alles proper in diesem Hafen

Ich kann über den Teil der Reise in der Türkei eigentlich nur formal berichten, denn der Alltag auf dem Schiff war eigentlich wegen des Wetters und der Verkehrslage inmitten eines der belebtesten Schwertransportwasserstraßen der Welt stets anspruchsvoll. Eine Kreuzung der Straße kostet nicht nur Nerven, sonern auch viel taktisches Entscheidungsvermögen. Ohne ein AIS, welches einem die Geschwindigkeit und den Kurs der Kontrahenten stets genau angibt, wären derartige Manöver sehr viel schwieriger. Die Schnellsten sind mit ca. 35 km/h, die Langsamsten (wie auch ich) mit 10 km/h unterwegs. Man verschätzt sich leicht darin, die Abstände zwischen den Schiffen in der Zukunft zu ermitteln. Gott sei Dank ist die Seefahrt allerdings ein langsames Transportmittel, sodass stets genügend Zeit bleibt, um eine fundierte Entscheidung über den sinnvollen Kurs zu treffen.

Auf der anderen Seite waren die Fahrten zwischen sechs und zehn Stunden lang. Zunächst einmal hat die tägliche akute Sauerstoffvergiftung auf dem Wasser ihre Folgen. Danach blieb am Abend nur noch Raum für die Zubereitung und Vertilgung einer warmen Mahlzeit, ein wenig laute Musik aus der Bordanlage bei einem Wein oder Bier sowie für den letztlich dringend benötigten Erholungsschlaf. Denn eine Stunde vor Sonnenaufgang klingelte der Wecker zur nächsten Runde. Andernfalls wären die Strecken nicht machbar, wenn man zeitliche Eckpunkte hat wie ich. Zum Jahresende möchte ich von Athen nach Hamburg fliegen und die Odd@Sea irgendwo in der Umgebung der griechischen Hauptstadt sicher in einer Marina parken.

Zum Abschluß möchte ich meinem Schiff einmal öffentlich ein großes Lob ausstellen. Es hat mich bisher sicher und treu durch die Meere und Wasserstraßen getragen und stets einwandfrei seinen Dienst getan. Mein Vertrauen in die Odd@Sea ist mittlerweile grenzenlos. Meine Blechbüchse, wie ich sie mittlerweile nenne, macht ihren Dienst zuverlässig und schenkt mir neben einem guten Gefühl auch noch einen äußerst guten Lebenskomfort. Ich fühle mich jedenfalls in ihrem Bauch sehr wohl und zuhause.

2 Gedanken zu „15.12.2017 Endlich wieder in der EU“

  1. Lieber Jürgen,
    ich dachte schon, Du wurdest in der Türkei wegen unkorrekter politischer Äußerungen verhaftet! So lange kein Blogeintrag! Dabei hat alles nur am Internet bzw. an seinem Nichtvorhanden sein gelegen.
    Das war sicherlich ein tolles Erlebnis bisher und ich kann deine Gedanken zum Alleine- und Einsamsein sehr gut nochvollziehen. Mir würde es, glaube ich, ähnlich gehen.

    Schade, dass Du durch den Zeitdruck nun die Schönheiten der besuchten Orte nicht wirklich genießen kannst-Istanbul ist eine tolle Stadt und auch die Ausgrabungen in Troja sind eine Reise wert.
    In Athen kannst du dann ja das versäumte Kulturprogramm nachholen.
    Alles Gute weiterhin und immer eine Handbreit… na du weisst schon!
    Konni und Jutta

  2. Hallo Jürgen,
    in Athen kenne ich die Alimos Marina. Eine sehr große von Charterbooten benutzte Marina, sehr nahe an der Stadt. Der große Vorteil: Der Bus zum Flughafen hält direkt vor der Tür.
    Gruß
    Konni

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