17.8.2018 Nun ist es passiert: Meine Reise endet plangemäß hier und heute

Alle guten Dinge haben ein Ende. Warum eigentlich? Damit Platz geschaffen wird für noch Besseres!

Gestern gegen 16.00 Uhr war es soweit. Nach 365 unglaublich abenteuerlichen, erlebnisreichen oder einfach schönen Tagen auf dem Wasser, habe ich Europa auf dem Wasserweg umrundet und dabei sehr viele neue Erfahrungen machen dürfen. Gute und weniger Gute. Zwar werde ich weiterhin in meiner Blechbüchse, der Odd@Sea leben, also auf dem Wasser, aber sicherlich anders als im letzten Jahr. Wo das auf dieser Welt sein wird und wie es mit mir weitergeht, kann ich heute noch nicht sagen. Projekte und Ideen habe ich jedenfalls haufenweise. Auf jeden Fall endete der letzte Törn dieser Reise heute mit der Hilfe der Seenotretter von der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Dazu aber später.

Aber zunächst zu den letzten drei Tagen. Der Beginn des Zeitfenster für eine sinnvolle, die Tiden nutzenden Abreise nach Deutschland war am Montag nach der Reparatur des Autopiloten bereits überschritten und ich entschloss mich daher, auch noch meine Duschbrause zu reparieren. Ersteres war erfolgreich, letzteres weniger, denn ich musste letztlich feststellen, dass ich zwar das Problem der geringen Wasserabgabe richtig analysiert, beim Versuch einer Reparatur jedoch den im Inneren der spiralförmigen Ummantelung liegenden Kunststoffschlauch zerstört hatte. Auch dieser Punkt wurde in die Liste der ToDo´s für den Herbst und den Winter aufgenommen, die damit bereits 30 Einträge hat. Die Aussicht auf hervorragend geeignetes Wetter und einen nun sicher funktionalen Autopiloten für diese letzte Fahrt nach Deutschland ließen mich jedenfalls hervorragend schlafen.

So sieht nun eine technisch solide Lösung für das Lagerungsproblem des Aktuators vom Autopiloten aus. Der Blick geht von unten auf den Rand der Decke in der Achterkoje an einer Stelle, an der man sich nicht aufhalten kann, da es dort zu wenig Höhe gibt. Die Bolzen stören also nur optisch, die Platte war dort schon immer eingebaut.

Dieser letzte Tag sollte dann auch der seglerisch Beste der gesamten Reise werden. Aber jedes Ding hat mindestens zwei Seiten. Mit Motorantrieb verließ ich den Hafen von Vlieland und fuhr ein paar hundert Meter, um in den geeigneten Segelwind zu kommen. Dieser sollte dann bis zu meiner Ankunft in Cuxhaven in nahezu idealer Weise anhalten. Den Motor habe ich dann auch nicht mehr eingesetzt bzw. später auch nicht mehr einsetzen können. Dazu komme ich aber noch. Ich setzte also Vollzeug, was sich später allerdings als ein wenig zu optimistisch in Bezug auf die Windstärke erwies. Der Wind wurde nämlich stärker als angesagt. Aber er kam aus der richtigen Richtung und da kommt es auf einen oder zwei Knötchen nicht an. Was etwas die Suppe verhagelte, war die anfangs steile, kurze aber mit einem Meter recht hohe und damit unkomfortable Welle. Das galt insbesondere für meinen Autopiloten, der ein ums andere Mal ausstieg. Sicher wäre mit einem oder zwei Reffs die Belastung für Mensch und Maschine geringer gewesen. Aber als Einhandsegler vermeidet man gerne jedes nicht unbedingt nötige Segelmanöver, da es sehr viel Kraft kostet und das dabei notwendige Halten des Schiffs gegen den Wind ohne Motorunterstützung nicht gut möglich ist. Als dann gegen Abend Welle und Wind abnahmen, ging es dann sehr viel besser. Ich habe mich jeweils eine halbe Stunde in die Koje gelegt, nachdem ich die Verkehrslage per Augenschein und Elektronik geprüft und keine zu erwartenden Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern, von denen an diesem Abend außerordentlich viele unterwegs waren, zu erkennen waren. Die Finsternis war wieder ein besonderes Erlebnis. Sternschnuppen in einem sternenklaren, hellen Himmel, riesige Windenergieparks, sichtbar als Meer aus roten Lichtern, und viele hell erleuchtete Fischerboote, teilweise ganze Fischfabriken, die sich durch mein dichtes Vorbeifahren in ihrem Tun nicht stören ließen. Das war für mich insofern eine neue und imposante Erfahrung, da das Meer beispielsweise nördlich von Borkum durch die unzähligen nächtlichen Aktivitäten stark belebt war und ich die Entfernungen zu den Objekten nur mit Hilfe des Navigators einigermaßen sinnlich erfassen konnte. Es war unglaublich. Überdies leuchten und blitzen in dieser Szene die unzähligen Wasserzeichen in den verschiedenen Farben. Diese sind natürlich für den eigenen Fahrweg sehr wichtig und man muss schon sicher sein, ob man gerade dem Navigationslicht eines Fischerboots oder der Leuchte eines Kardinalzeichens folgt. Es war jedenfalls so toll, dass an Schlaf nicht zu denken war. Diesen wollte ich mir gönnen, wenn ich die sehr verkehrsaktiven Gegenden passiert hatte und über große Strecken sicher sein konnte, dass es keinen Verkehr geben würde. Mit etwas Übung kann man die Lichtzeichen in einer klaren Nacht weiter als 10 km sehen und auch unterscheiden. Das bedeutet, dass man erst in etwa einer Stunde an einem möglichen Kollisionsort sein kann. Jeweils etwa eine halbe Stunde zu schlafen und dem Autopiloten zu vertrauen, habe ich auf meiner Fahrt verinnerlicht. Danach wird ein neuer Aufsetzpunkt durch eine intensive Observation der Umgebung für die nächste halbe Stunde Schlaf festgelegt. Das klappt ganz gut. Zudem kommt, dass die Spezialbeleuchtungen von Sonderfahrzeugen wie Fischerboten (oben grün und weiß) eine gute Einschätzung deren Verkehrshaltens ermöglichen und damit den Spiel-, oder soll ich sagen Schlafzeitraum, ohne größere Gefährdung erweitern.

Das war der schöne Teil der Story. Nun zur Katastrophe des Tages. Als ich wieder einmal eine Rundschau hielt und dabei natürlich auch die AIS-Informationen des Navigators anschaute, fiel mir der Hinweis auf dem Display meines Autopiloten (schon wieder der!) auf. Da standen die Worte „Battery low!“. Das wäre eigentlich kein Wunder angesichts der Schwerstarbeit, die dieser Apparat leistet. Aber dieser Hinweis war neu und etwas beängstigend für mich. Ein Blick auf den Ladezustand der Batterien an meinem Victron-Batteriemanager zeigte typische, aber durchaus bereits bekannte Verbrauchswerte. Die Spannung war allerdings bereits deutlich gegenüber dem Normalmaß gesunken. Nun wollte ich aber keinen Kollaps meiner gesamten Instrumente riskieren und deaktivierte den Autopiloten sofort. Vorsichtshalber wollte ich die Akkumulatoren mit dem Motor aufladen. Als ich den Dieselmotor anlassen wollte, antwortete dieser nicht einmal mit einem Geräusch, sondern es gingen schlagartig alle Lichter aus und sämtliche elektronischen Geräte wurden schwarz. Der Motor ließ sich nicht mehr starten, was bedeutet, dass es schwierig wird im nächsten Hafen. Im schlimmsten Fall fällt dann später auch noch der Navigator aus und ich muss meine letzte Reserve, das Notebook, zur Navigation einsetzen. Aber hält dessen Batterie noch über die nächsten 15 Stunden? Und noch etwas beschäftigte mich: Sollte ich nun unter Segel in den Hafen einlaufen, um wenigstens ein wenig manövrierfähig zu sein? Etwas Panik kam bei mir in diesem Moment schon auf. Für mich hieß es zunächst einmal, den restlichen Weg über etwa 15 Stunden manuell zu steuern, keine Ruhepause mehr zu haben, kein Essen, kein Gang auf die Toilette und vor allem keine Segelmanöver, egal wie der Wind sich entwickeln würde. So wurde der weitere Abend und der frühe Morgen zu einem weiteren Alptraum, den ich mir lieber hätte ersparen wollte. Das Einzige, was mich antrieb weiter zu machen, war die Tatsache, dass es sehr gutes Segelwetter war und die Odd@Sea sehr gut lief. Mit ca. 5 bis zu 7 Knoten ging es schnell bis zur Elbmündung. Hier kam noch die Flutströmung hinzu, die mich schnell, mit teilweise 8 Knoten die Elbe hinauf trieb. Windrichtung und Stärke waren mit ca. 5 bis 8 Knoten nicht mehr sehr stark, änderten sich jedoch auf der letzten Strecke der Fahrt nicht mehr. Meine Einschätzung, dass ich so weit wie möglich bis vor den Hafen unter Segel fahren sollte, dort zunächst die Genua herunternehmen, um mit dem Großsegel bei der starken Strömung noch ein wenig manövrierfähig zu bleiben, danach die Seenotretter über Funk über meinen Lage darüber informiere, dass ich mit einem 10-Tonnenschiff nicht unter Segel in eine Marina einlaufen und anlegen könne, ging total gut auf. Die nette Dame von Elbe-Rescue schickte mir das Tochterboot des in Cuxhaven stationierten Seenotrettungskreuzers, um mein Problem von den sehr versierten und professionellen Freiwilligen des DGzRS lösen zu lassen. Das Problem, was mir den ganzen Tag Kopfzerbrechen bereitete, erschien in der Ausführung schließlich wie ein Kinderspiel zu sein. Natürlich ging auch hier nicht alles glatt. Warum geht ein Karabiner, der das Vorliek einer Genua am Stagfuß befestigt, einfach einmal ohne ersichtlichen Grund gerade dann auf, wenn man es am wenigsten braucht. Auch die Wickelleine der Vorsegelrollanlage war zufällig wieder einmal verklemmt und musste erst mühsam wieder in Ordnung gebracht werden. Beides erfordert dann den Skipper, der auf das Vordeck gehen und gleichzeitig das Schiff steuern muss. Die geringen Wellen der Elbe waren dabei aber sehr gütig zu mir. Da ist später der berechtigte Rüffel der beiden Seenotretter dazu, dass ich keine Rettungsweste tragen würde, noch am besten verständlich und verdaulich.

Heute Morgen habe ich nach einer Nacht am Ladegerät den Motor ohne Probleme wieder starten und die Odd@Sea vom Havaristensteg an einen Besuchersteg verlegen können. Hier werde ich mich noch ein paar Tage ausruhen. Es sieht so aus, dass es einen systemischen Fehler in meinem Batteriemanager gibt, der nur bei intensiver und langer Nutzung zum Tragen kommt. Dabei scheint dieser davon auszugehen, dass ein ständig voller Akkumulator immer mehr Kapazität zu bekommen scheint, was natürlich nicht der Fall sein kann. Bei Antritt der letzten Fahrt in Holland war der Akku vom Controller als definitiv voll und intakt beurteilt worden. Dass er dann letztlich nur noch eine geringere Kapazität hatte, kann eigentlich nur daher kommen, dass der Controller über die lange Zeit, von einer steigenden virtuellen Kapazität ausging. Letztlich ließ er in der Folge immer weniger Energie in die Batterien und vermittelte, dass diese jeweils bei 100% Ladung auf dem Höchststand sei. Mein Fehler war, dass ich mich nie mit diesem Gerät wirklich auseinander gesetzt habe, ich hätte dann die Empfehlung im Gerätehandbuch finden können, dass man immer wieder einmal das Gerät durch ein Zurücksetzen der Daten normalisieren müsse. Das hole ich jetzt nach, denn diese kleine Ursache hatte eine große Wirkung für mich.

Mein letzter Tag auf dieser Reise war also auch zugleich der eindeutig anstrengendste und schrecklich-Schönste. Natürlich gab es auch sonst viele Pleiten-Pech-und-Pannen auf meiner Tour. Daraus zu lernen, und nicht darüber zu jammern war meine Absicht, denn Seefestigkeit und Einfallsreichtum sind die Grundlagen der Seefahrt. Ich gehe aus diesem Abenteuer jedenfalls als ein anderer Mensch hinaus, als ich hineingegangen war. Ich habe in diesem Jahr nicht nur intensiv nautische Erfahrungen sammeln dürfen, sondern auch viele ausschließlich gute menschliche. Dafür bin ich meinem Schicksal sehr dankbar. In einem der nächsten Tage werde ich die Flut für eine Fahrt nach Hamburg nutzen und dort zunächst im Hamburger Yachthafen in Wedel meine Leinen festmachen. Wo ich dann in Hamburg den Winter verbringe, werde ich zunächst recherchieren. Da viele technische Arbeiten anstehen, wäre eine Werft in der Nähe genauso von Vorteil wie die Möglichkeit, dass Schiff eisfrei im Wasser stehen lassen zu können.

Abschließend möchte ich mich von meinen treuen Lesern hiermit verabschieden und mich bei denen bedanken, die mich ständig begleitet und mir mit ihrem Erfahrungsschatz geholfen oder mir immer wieder Mut zugesprochen und mich aufgemuntert haben. Natürlich möchte ich mich insbesondere auch bei denen noch einmal ausdrücklich bedanken, die mir mit ihrer Tat vor Ort geholfen haben. Alle werden mir jedenfalls in guter Erinnerung bleiben.

Ich stehe allen Interessierten für Nachfragen natürlich auch weiterhin zur Verfügung und verabschiede mich,

Jürgen
Odd@Sea
Cuxhaven

Anhang mit einigen Daten der Reise für interessierte Statistiker:

Gesamtstrecke: 11.313 km (6108 nm)
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 31,6 km/Tag (17 nm/Tag)
Angelaufene Häfen: 148
Nächte vor Anker: 47
Anzahl der besuchten Länder: 15

Die besuchten Länder in der Reihenfolge des Erstbesuchs
(Spanien, Frankreich, Bulgarien und Rumänien wurden jeweils zweimal besucht):

Österreich
Ungarn
Slowakei
Serbien
Kroatien
Bulgarien
Rumänien
Türkei
Griechenland
Italien
Frankreich
Spanien
Portugal
England
Niederlande

7 Gedanken zu „17.8.2018 Nun ist es passiert: Meine Reise endet plangemäß hier und heute“

  1. Lieber Jürgen!

    Vor einem knappen Jahr sind wir uns auf dem Rhein begegnet. Die odd@sea hatte Aua und wollte nicht somwie Du. Aber Neptun liess just in diesem Moment die Nautic mit ihrer Crew vorbeikommen und Schlimmeres konnte vermieden werden.
    Nun habe ich die odd@sea auf ihrem Weg rund um Europa begleitet, und ich sage Dir herzlichen Dank für das dabei sein dürfen. Sehr selten kann man solch eine Runde begleiten.
    Habe viel dazu gelernt!
    Leider haben wir ja die Nautic vor ein paar Monaten schweren Herzens verkauft, und wir vermissen sie sehr.
    Am Mo brechen wir nochmals auf in die Bretagne und wollen uns paar Boote anschauen. Mal sehen vielleicht ist noch mal was dabei wo wir als Rentner noch bisschen mit rumschippern können und was nicht so viel Arbeit macht.
    Dir lieber Jürgen, Herzlichen Glückwunsch zu der vollbrachten seemännischen Leistung! Überwiegend alleine, einmal rund Europa! Respekt!
    Bleib gesund und geniesse weiterhin Deine „innere Wandlung“ uns Sichtweise der Dinge!
    Melde Dich per Email wenn e vielleicht einen neuen Blog gibt! Würden Dir gerne wieder folgen!
    LG aus Frankfurt! Stefan + Regine

  2. Lieber Papa,
    wir gratulieren Dir zum Realisieren Deines lang durchdachten Ziels Europa in 365 Tagen zu umrunden! Wir sind stolz auf Dich! Wir freuen uns mit Dir!
    Wir waren in Gedanken im letzten Jahr immer bei Dir und haben mitgefiebert. Das ein oder andere Mal waren wir froh, erst im Nachhinein von den etwas halsbrecherischen Fahrten gelesen oder gehört zu haben. Aber wie es im Leben so ist, gibt es Höhen und Tiefen, Wellen und ruhige See, Segelwetter und Motorwetter. Wir freuen uns, dass Du Dich durch die Erfahrungen bereichert fühlst und auch darauf Dich bald wiedezusehen!
    Kuss und Gruß, Dario, Hanna und Anna

  3. Lieber Jürgen,
    wir gratulieren Dir herzlich zu dieser großartigen Leistung! Ein Jahr voller Aufs und Abs liegt nun hinter Dir und Du hast alle Widrigkeiten gemeistert. Wir sind froh, dass wir Dir bei Deinen Erlebnissen folgen durften.
    Wir wünschen Dir nun genügend Zeit zur Erholung und freuen uns, irgendwann wieder von Deinen Taten zu lesen.
    Falls Du wieder auf dem Rhein nach Schierstein kommen solltes, weißt Du ja, wo unser Schiff liegt.
    Es grüßt Dich die Crew des „Goldzahn”

  4. Hallo Jürgen,
    Wir kennen dich nur einen kurzen Zeit, aber haben gespannt das letzte Teil der Reise gevolgt.
    Schön das du es geschaft hast.
    Gratuliere dich von ganzen Herzen.

    Liebe Grüsse aus die Niederlände,
    Gerco und Wilfried

  5. Hallo Jürgen,

    herzlichen Glückwunsch auch von uns!
    Wir genießen noch die letzten Tage im Süden von Kreta.
    Ende August geht es für uns auch wieder zurück nach Deutschland.

    Liebe Grüße
    Dietrich & Maggie

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