19.11.2019 Ich bin endlich ein Stück weiter nach einer turbulenten Nachtfahrt

Am Sonntag, den 17.11. 2019, war endlich der erste wettermäßig geeignete Tag für die Tag-Nachtfahrt in Richtung Brest. Am Tag zuvor wollte ich eigentlich noch vom steuerfreien auf Guernsey profitieren und dazu zu der im Vorhafen liegenden Tankstelle fahren. Meinen Versuch, an dem entsprechenden Ponton festzumachen, musste ich allerdings aufgeben, denn trotz des schwächeren Winds als in den Vortagen tanzte dieser so stark an der sehr hohen Kaimauer hoch und runter, dass ich eine größere Havarie bei diesem Manöver nicht ausschließen konnte. Also legte ich wieder unverrichteter Dinge an meinem Liegeplatz im Hafen an und verbrachte dort die letzte Nacht auf der Insel. Damit war allerdings das Thema billig Tanken erledigt, denn am Sonntag haben die Schiffstankstellen, wie bereits bei meiner Ankunft auf der Insel leidvoll erlebt, geschlossen. Was für eine Ironie des Schicksals nach etwa drei Wochen Aufenthalt.

Da ich nicht mit zu wenig Sprit auf die Fahrt gehen wollte, habe ich mir meinen Hackenporsche mit zwei leeren Kanistern beladen und bin zu Fuß den steilen Anstieg in den oberen Teil von St. Peter Port und dort noch einmal ein langes Stück Strecke gegangen, um zur nächsten Autotankstelle zu gelangen. Der Weg zurück war dann noch erheblich beschwerlicher, da es nun steil bergab mit 40 Litern Diesel ging. Dieses Mal hielt ich die Karre vor mir fest, damit diese sich nicht selbständig machen und wie eine Bombe wirken konnte. Das war einigermaßen spannend, aber die Leute sahen das Gott sei Dank ganz gelassen.

Bevor ich Guersey verließ, mußte ich noch einmal den durch eine Schwelle in der Hafeneinfahrt festgehaltenen, tiefsten Wasserstand betrachten, der mir zumindest für etwa 7 Stunden am Tag Ruhe auch bei schwerem Wetter bescherte. Ich bin diesem Bauwerk unendlich dankbar für sein Werk. Am Hafenrand bildet sich dann ein trockene Ebene aus, auf der unzählige Tiere leben
Kurz vor der Abfahrt liegt die Odd@Sea ganz alleine imHafen von St. Peter Port

Mit dem Sonnenaufgang habe ich mich und das Schiff dann klar gemacht für die Überfahrt. Die Wetterkonditionen waren günstig vorausgesagt und ich setzte nach meinen Erfahrungen mit dem Schmetterling bei der Ankunft, für den achterlichen Wind nur das voll gefierte Großsegel, welches ich mit einem Bullenstander gesichert habe. Da es zunächst wegen der Gegenströmung etwas langsamer voran ging, unterstützte ich den Wind mit 1500 U/Min drehenden Motor bei wenig Verbrauch, um etwa 5 Knoten zu erreichen. Nach etwa 3 Stunden ging es ohne Unterstützung mit der Sollfahrt weiter bei sehr angenehmer See. Einzig die Kälte war unangenehm. Kurz darauf gab mein Windsystem, welches mir den Wind in Richtung und Stärke anzeigt, seinen Geist auf. Das war einigermaßen schockierende für mich, denn in der Nacht würde ich keine Windinformationen zur Verfügung haben und Probleme mit dem Trimmen des Segels bekommen. Ich hatte insofern Glück im Unglück, weil der Wind seine Richtung nicht änderte, allerdings musste ich den Kurs beim Umfahren des ersten Kaps ändern. Zugleich nahm der Wind gefühlt auf Sturmstärke zu, was zunächst keine Probleme machte, jedoch die Geschwindigkeit auf über 7 Knoten ansteigen ließ. Zugleich stieg die Wellenhöhe bedrohlich an. Wenn ich aus der Koje hinaus in die Plicht ging, dann verursachte das Anrollen hoher Wellen von hinten schon Bedenken. Das beruhigte mich erst nachdem ich so alle halbe Stunde keine Änderung bemerkte und es bis dahin alles gut gegangen war. Was mich jedoch enorm belastete war das enorme Schlingern des Schiffs um alle drei Achsen. Es war äußerst schwer sich auf den Beinen zu halten und ich bedauerte bereits, dass ich überhaupt losgefahren bin.

Beim Umfahren des Kaps wurde aus den Bedenken schon etwa Ungewissheit, denn ich fuhr mit einem auf zu großem Maßstab eingestellten Navigator, wobei dann nicht viele Seemerkmale angezeigt werden. In diesem Fall fuhr ich in ein flaches Gebiet ein. Es war bei Weitem nicht zu wenig, um aufzulaufen, jedoch gingen unvermittelt die Wellen richtig hoch. Nachdem ich die Ursache bemerkt und die Anzeige umgeschaltet habe, konnte ich diese Situation zwar bereinigen, die geschätzt 2 bis 3 Meter hohen Wellen haben dann aber meinen Magen umgedreht. Bei mir verbessert sich daraufhin immer das Gesamtbefinden und ich schwankte zwischen Bangen und Hoffen. Nach dem Kap, auf neuem Kurs war ich am Limit des Windwinkels für das voll ausgestellte Großsegel angelangt, entschloss mich aber nicht zum Shiften, denn das würde schwer werden bei der vorliegenden Windstärke. Ich lag in der Koje, als mir dann ein Geräusch klar machte, dass diese Aufgabe das Segel selbst erledigte. Den Bullenstander, die Leine, die das eigentlich verhindern sollte, hatte ich in der Winsch festgemacht. Wahrscheinlich habe ich zu wenige Windungen verwendet, jedenfalls lag das Segel auf dem anderen Bug. Da musste es sowieso perspektivisch hin, denn es sollten noch Kursänderungen in diese Richtung folgen. Ich war froh feststellen zu können, dass bei diesem Manöver nichts beschädigt wurde außer natürlich mein schlechtes Gewissen bezüglich einer schlechten Seemannschaft. Es war der Landnähe geschuldet, dass mich Jörg gerade in diesem Moment per Telefon erreichte und mir zwar meine Unvernunft in Sachen Küstenabstand um die Ohren haute aber mir auch die in solchen Momenten angeknackste, aber benötigte Zuversicht vermittelte. Erst zum Sonnenaufgang ließ der Wind schließlich etwas nach und nach der Einfahrt in die Rade von Brest wurde er zu schwach, um das Schiff mit 5 Knoten voranzutreiben.

Während der ganzen Fahrt war mir erbärmlich kalt, obwohl ich sämtliche vorhandenen schweren Kleidungsstücke in Schichten am Leib trug. Deshalb lag ich stets solange unter meiner Bettdecke, bis ich wieder ein angenehmes Körpergefühl hatte, bevor ich wieder einen Gang nach draußen wagte, um nach dem „Verkehr“ und dem Segelstand zu schauen, mich von den Wellen beeindrucken zu lassen und meine Ehrfurcht vor der Leistung meines Autopiloten verspürte, der die Odd@Sea stets sicher auf der Kurslinie hält.

Dazu möchte ich hier einmal festhalten, dass ich während der gesamten Nachtfahrt von etwa 15 Stunden nicht ein einziges Schiff zu Gesicht bekommen habe, welches vor oder seitlich von mir fuhr. Als AIS-Signale waren einige Fangschiffe weit hinter mir in meiner Kiellinie auf dem AIS zu sehen. Diese waren allerdings mehr als 20 km entfernt und ich konnte deren Lichter nicht sehen. Meine mit dem Wecker gesicherte Schlafzeit von maximal einer Stunde lässt mich etwa 10 bis 12 km vorankommen, was unterhalb der Mindestsichtweite der genormten Schiffsbeleuchtung liegt. AIS-ausgerüstete und damit etwas größere Schiffe haben eine Erkennungsreichweite von 25 bis zu 45 km. Die Schifffahrt ist grundsätzlich langsam, was man sich als Landratte nicht so richtig vorstellen kann. Die wirklich schnellen Großschiffe sind alle mit AIS ausgestattet und haben stets eine Wache im Einsatz. Einzig die tausenden von Fischtrawlern, die fast jede Nacht unterwegs sind und sich nur langsam oder überhaupt nicht bewegen, könnten zur Gefahr werden. Dagegen hilft nur, einen konfliktfreien Kurs zu halten, um an diesen mit Abstand vorbeizufahren. Typischerweise habe ich mit meiner Fahrstrategie nie einen Abstand von 3 km unterschritten, auch wenn es nachts einem näher vorkommt. Also resultieren die Gefahren doch eher aus dem Wetter, z.B. bei Nebel, als aus einem Kollisionsrisiko. Das soll das Wort zum Sonntag gewesen sein zu einem Thema, auf das ich als Einhandsegler immer wieder im Zusammenhang mit dem Schlafen an Bord angesprochen werde.

Die letzten vier Stunden dieser außergewöhnlichen Fahrt benötigte ich für den letzten Streckenabschnitt in der Rade von Brest, in der mich die Gegenströmung auf kaum mehr als 3 Knoten unter Motorantrieb mit 2500 U/Min abbremste. Um etwa 10.00 Uhr lief ich in der Marina ein. Mein alter Liegeplatz war besetzt und ich nahm denjenigen, den ich eigentlich im letzten Jahr benutzen, der Wind mich offensichtlich dort nicht haben wollte.

Eigentlich sollte die Fahrt gleich in Richtung Audierne gehen, dem Ankunftsort bei meiner letzten Biskayaquerung. Aufgrund der Reparaturbedürftigkeit meiner Windanzeige und der fehlenden Infrastruktur dazu in Audierne, habe ich die Strecke verkürzt und zugleich den Ort angefahren, den ich als für jede Problemform an Bord als außerordentlich gut geeignet kennengelernt hatte. Damals war es die Hydraulik für meinen Autopiloten, bei deren Reparatur mir das Vorhandensein sämtlicher Gewerke vor Ort sowie das Hafenpersonal extrem behilfliche war. Letzteres hat gleich bei meiner Anmeldung den Kontakt zu einem Spezialisten für mein Problem hergestellt und ich habe eine Verabredung bereits für morgen früh um 9.00 Uhr mit diesem auf der Odd@Sea. Besser geht es nicht. Brest bleibt somit in der Liste meiner Lieblingshäfen auf den ersten Plätzen.

Ein Gedanke zu „19.11.2019 Ich bin endlich ein Stück weiter nach einer turbulenten Nachtfahrt“

  1. Hallo Jürgen,
    Das war ja mal wieder was!
    Wie kalt es denn, dass so viele Schichten nicht genügt wärmen konnten?
    Wirst du das Wetterfester am Freitag bis Sonntag nutzen können? Danach seit es ja wieder ziemlich mau aus. Weiter südlich wird es besser!
    Toi toi toi !
    Konni

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