28.3.2020 Wie geht es mit der Langeweile?

Diese Frage, die ich jetzt schon häufiger gestellt bekommen habe, möchte ich nicht ganz unbeantwortet lassen. Zunächst einmal drückt Langeweile ja eigentlich einen in der modernen Gesellschaft vergessenen Luxus aus: Man steht nicht unter Druck, es wird von einem nichts abverlangt, man kann sich beliebig intensiv mit sich selbst beschäftigen, zumal, wenn es nichts Dringliches am Schiff zu tun gibt. Das drückt doch eine unglaubliche Chance zur Selbstverwirklichung aus.

Nun ist der Tag aber auch recht lang und er wird in dieser Zeit wegen des wachsenden Sonnenstands immer länger. Bis auf die Endreinigung an und unter Deck, die ich mir für die Tage vor der irgendwann anstehenden Abreise vorbehalte, ist an der Odd@Sea nichts mehr Notwendiges zu machen. Die Abreise wird nach Einschätzungen der hiesigen Einheimischen nicht vor Mitte bzw. Ende April möglich sein. Ich habe also sehr, sehr viel Zeit, die ich irgendwie auszufüllen versuche.

Ein Highlight meines derzeitigen Lebens ist der etwa alle vier Tage stattfindende Einkauf im nicht weit entfernten Supermarkt Super-U. Mit dem Fahrrad bin ich in zwei bis drei Minuten dort. Es würde sicherlich nicht auffallen, wenn ich diesen Weg verlängern würde, um Zeit totzuschlagen. Mich hindert daran aber meine Loyalität zu dem Menschen hier, die sehr diszipliniert mit der Ausgangssperre umgehen. Vieleicht ist das sogar der Grund dafür, dass diese Region Frankreichs im Hinblick auf die Viruskrise den mit Abstand geringsten Stand an Infizierten und Toten im Land hat. Das beruhigt mich außerordentlich und trägt dazu bei, dass ich überhaupt keine diesbezügliche Nervosität kenne.

Um die lange Zeit an Bord irgendwie mit Aktivitäten zu füllen, bekoche ich mich täglich ausgiebig und zu immer gleichen Zeiten, durchaus auch mit anspruchsvolleren Gerichten. Der Abwasch wird stets sofort gemacht, was wiederum Zeit kostet. Kaffee und Kuchen sind danach obligatorisch.

Bereits im Januar ist mir aber ein Zeitvertreib wieder eingefallen, der mich schon früher beschäftigt hat und den ich auch aus Altersgründen für nicht ganz unsinnig halte: Tetris. Die meisten werden dieses einfache Computerspiel mit den auf verschieden geformten Kombinationen von 4 Quadraten beruhenden Spielobjekten kennen, die vom oberen Bildrand stetig und mit länger werdendem Spielverlauf ansteigender Geschwindigkeit nach unten fallen. Ich habe mir mangels des damals unter Windows mitgelieferten Originalprogramms ein Derivat davon mit dem Namen „Another Tetris“ besorgt, welches kostenlos ist und exakt die gleichen Funktionen hat. Damit habe ich bereits die Wartezeiten auf dem Rhein und in Griechenland gefüllt, denn da gab es durchaus auch schon zeitliche Längen. Für diejenigen, die mir bis hierhin folgen konnten: Mein höchster Score liegt heute bei 22 Leveln und etwa 37000 Punkten und der niedrigste der 10 höchsten Einträgen bei Level 20. Ich glaube, dass das nicht ganz schlecht ist, wäre aber für eine fachkundige Rückmeldung dazu dankbar.

Auf jeden Fall ist das dazu benötigte Gehirnjogging ganz gut für mein Wohlbefinden. Einerseits ist das Erlebnis einer erfolgreichen Steigerung der Leistung stets sehr befriedigend, andererseits macht mich ein letztes Spiel am späten Abend, mit der Unterstützung meines geliebten Merlots, richtig müde und verschafft mir einen langen und sehr tiefen Schlaf an Bord. Ich glaube, dass dieser meine wirklich außerordentlich stabile Gesundheit und mein Wohlbefinden hier in der Diaspora weitgehend begründet. Dass mich dabei meine Musik (Rock & Roll in jeder Form) ständig unterstützt, ist selbstverständlich.

Am Abend fühlt es sich bei mir so an, als ob ich mich in meiner alten Wohnung in Berlin-Charlottenburg befinde. Ich schaue mir über das Webfernsehen zunächst die Tagesschau um 8:00 p.m. an und danach suche ich nach einer geeigneten Kabarettsendung oder einen interessanten Film in den Mediatheken von ARD und ZDF. Da das Netz hier in den Abendstunden relativ stabil ist, geht das überraschend befriedigend. Mein technischer Aufwand zur Verbesserung der WIFi-Feldstärke hat sich jedenfalls gelohnt.

Mal sehen, wie lange mich diese Strategie noch guter Dinge sein läßt.

Ein Gedanke zu „28.3.2020 Wie geht es mit der Langeweile?“

  1. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich habe gerade Christian gefragt, wie’s Dir eigentlich geht auf Deiner Solo-Fahrt über den Atlantik in die weite Welt. Da hat er mir die Internet-Adresse gegeben und ich habe von Deinem Aufenthalt und dem bevorstehenden 70.en gelesen. Ein würdiger Platz in diesen Zeiten in so guter Verfassung! Lass es Dir weiter gut gehen. Langeweile in der Wohnung bzw nicht rausdürfen ist hier , lässt mich von freier Weite träumen, aber nur in so guter Konstitution, wie Du sie beschreibst. Gabriella

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