29.7.2019 Die Realitäten und der daraus resultierende totale Frust zwingen mich zum Abbruch des Vorhabens „St. Petersburg“

Für mein Vorhaben St. Petersburg war ursprünglich die Abfahrt für Anfang Juni geplant. Als Erster zeigte mit der Zahnarzt die rote Karte, denn meine umfangreiche Zahnrestaurierung benötigte insgesamt dann doch drei Monate. Die abschließenden Kontrollen fanden in der zweiten Juniwoche statt. Das war aber nur ein Teil der Ursachen für mein Scheitern. Einerseits aus Faulheit, anderseits aus technischen Gründen, dauerte die Vorbereitung des Schiffs etwa zwei weitere Wochen. Das betraf den Einbau des Windpiloten genauso wie eine dringend benötigte Reinigung des Unterwasserschiffs in der Werft, den Austausch sämtlicher Batterien sowie zahlreiche weitere Kleinigkeiten. Ich habe darüber berichtet. Die daraus resultierende Verspätung hätte mir eigentlich sagen müssen, dass meine sehr optimistische Zeitplanung nicht zu schaffen ist. Es kam aber noch dicker: Ich musste mich während dieses Törns noch einmal die gleiche Zeit beim Abwettern gedulden und abwarten, dass der für die Ostsee typische Nordostwind in dieser Jahreszeit in untypischer Weise seinen Rhythmus für mich aufgibt. Das tat er natürlich nicht. Das Warten kannte also kein Ende mehr. Hätte ich die rosarote Brille nur einmal abgenommen, wäre meine Erfolglosigkeit von Anfang an sichtbar gewesen. Doch wie weit kommt der Mensch mit dem Kopf durch eine Wand?

Dazu kommt noch ein für die Ostsee typisches Phänomen, welches durch die geringe Tiefe dieser See begründet: Die Wellenlänge. Hat das was mit Hochfrequenztechnik zu tun? Natürlich nicht, sondern mit Gewässerphysik. Eine Welle kann sich nur soweit in Höhe und Länge entwickeln, wie das zur Verfügung stehende Volumen erlaubt, denn es gibt nur äußerst selten das Phänomen, dass der Grund vom Wasser freigegeben wird. Dieses trifft man eigentlich nur in Gewässern von Typus der Ostsee an und hat mit Extremwetterlagen zu tun: Die Grundsee. Warum bin ich eigentlich dieses Mal so angefressen von der Ostsee, die ich ja bereits von zahlreichen Segeltörns her ganz gut kenne? Das hängt mit dem o.g. Frust zusammen, aber auch mit dem Umstand des Zeitdrucks, dem ich mich ausgesetzt habe. Aber auch mit den Eigenschaften meines Schiffs. Wenn die Durchschnittswelle etwa die Länge meines Schiffs hat, das ist hier etwa der Fall, dann wird das Schiff anfangen zu stampfen. Es wird gerade in der Mitte noch angehoben, fällt aber bereits mit dem Bug in das nächste Wellental und trifft dort im steilen Winkel auf den ankommenden Wellenberg. Bei einem Schiff der Größe und des Gewichts der Odd@Sea taucht der Bug dann tief in die Welle ein, teilweise bis zur Luke meiner Koje im Bug. Das bremst es dann so stark ab, dass es kaum Fahrt bis zur nächsten Welle aufbauen kann, obwohl die Bedingungen dazu gut wären. In einer langen Fahrnacht kannst du dann diese Ereignisse zählen und dich dann fragen, was du eigentlich überhaupt hier und jetzt gerade machst mit deinem Leben. Aber auch tagsüber fühlst du dich zur falschen Zeit am falschen Ort.

Kolberg habe ich bereits am nächsten Morgen nach den o.g. Erkenntnissen in Richtung Hamburg wieder verlassen, denn es gibt ja immer noch den Masterplan, der mich Mitte August wieder in den Atlantik bringen soll. Übrigens dieser ist eher mit hohen, aber sehr langen Wellen ausgestattet, die ein angenehmeres Fahren mit einem Segelschiff erlauben. Wie schön! Zuvor wollte ich aber nach einmal meine Familie in Hamburg, Berlin und Basel besuchen.

Die Planung für das neue Vorhaben „Umkehren und Zurück“ benötigte keine einzige Minute, denn ich kannte ja nun auch schon die Strecke. Das größte Problem war, die polnischen Zlotys wieder in Brauchbares zu verwandeln, denn mein Aufenthalt in Polen endete zugleich mit dieser Entscheidung an einem Sonntag. Das Geld wurde folglich zu Diesel und meine erste Fahretappe bestand zunächst im Aufsuchen der meinem Liegeplatz gegenüber gelegenen Schiffstankstelle. Auf das Wetter in Westrichtung konnte ich mich genauso verlassen wie auf dessen Unbrauchbarkeit für die entgegengesetzte Richtung. Es ging folglich in einem großen Schlag mit Rückenwind und hoher Geschwindigkeit direkt zu einem Ankerplatz im Strelasund am sog. Pelzer Haken. Ich kam dort in vollständiger Finsternis an und war beeindruckt über eine riesige Wasserfläche mit etwa konstant 3 Meter Tiefe in der bereits einig Schiffe ankerten. Obwohl es ziemlich stürmte, war das Wasser fast so glatt wie ein Kinderpopo. Aber in den Masten sang dennoch der Wind und sorgte für ziemlichen Lärm in der Nacht. Außerdem nickte mein Schiff ständig mit der Folge, dass mein flaches Heck laute Schlaggeräusche auf dem Wasser verursachte. Ein guter Schlaf geht anders. Nur eine totale Erschöpfung sorgt für etwas Erholung.

Zunächst wollte ich eigentlich nach dem Passieren der Hubbrücke in Stralsund noch einmal für ein paar Stündchen Schlaf den Ankerplatz von der Herfahrt südlich von Hiddensee anlaufen und dann von dort aus einmal mehr in die Nacht hinaus und den nächsten Tag durch den Fehmarnsund nach Kiel fahren. Die Prognose für das Wetter in der Nacht war jedoch nicht so gut, wie die für die hellen Stunden der kommenden Tage. Also hätte dieser Kraftakt keinen Sinn gemacht zum Einsparung eines weiteren Fahrtags. Zudem sind die Nachtfahrten zwar sehr schön, aber auch sehr anstrengend. Außerdem ist man am Tag danach zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich werde also Morgen zunächst nach Heiligenhafen fahren, dort übernachten und dann gut ausgeruht zum Ausgangspunkt des Nord-Ostsee-Kanals in Kiel. Bestenfalls kann ich dann in zwei weiteren Tagen in Hamburg sein, wo ich versuchen werde, meinen alten Liegeplatz in Finkenwerder zu bekommen. Hoffentlich klappt das alles wie geplant.

Ich wollte diesen textdominierten Beitrag nicht abschließen, ohne ein paar visuelle Eindrücke von meinem Ankerplatz mitzuliefern. Bei diesem Bild und der folgenden Bildsequenz handelt es um einen Rundblick, bei dem die Motive keineswegs den Eindruck einer guten Ankerstelle machen. Hier der Blick über das Heck (für die in Sachen Nautik unerfahrenen Leser: nach hinten) der Hafen von Barhöft am Eingang zur Zingster Boddenlandschaft
Hinten geradeaus beginnt die schlangenförmig Einfahrt in den Bodden. Ansonsten ist nur Wasser um mich herum
Ein paar Kameraden stehen um mich herum an gleicher Stelle, die offensichtlich die besonderen Qualitäten dieses Ortes genauso schätzen wie ich
Ein weiterer Segler an Steuerbord (rechts!). Ansonsten nur Wasser, so weit das Auge reicht
Nach Steuerbord achtern (hinten) sieht es nicht anders aus. Warum kann man hier ungefährdet auch bei Sturm (es ist bei diesen Aufnahmen übrigens ziemlich windig!) ankern? Weil sich hohe Wellen wegen der Landnähe rund herum nicht aufbauen können. Aus dem Festland kommt nämlich kein Wasser. Wenn ein direkter Zugang zum Meer bestünde, würde es anders aussehen. Das ist der große Vorteil von Boddengewässern für die Segelei. Allerdings muß man darin aufpassen, denn diese sind teilweise sehr flach (hier etwa 3 Meter)

Ein Gedanke zu „29.7.2019 Die Realitäten und der daraus resultierende totale Frust zwingen mich zum Abbruch des Vorhabens „St. Petersburg““

  1. Lieber Jürgen,
    Das tut uns ja leid, dass aus dem Plan „Ostseerunde“ nun nichts wird, aber du kennst fa ja vielleicht noch aus der Ü-Landfliegerei: manchmal stimmte die Karte nicht, die Bahn muss auf die andere Seite der Autobahn! Will sagen, man macht sich doch leicht mal was vor, was bei nüchterner Betrachtung ganz anders aussieht.
    Alles Gute für die Heimfahrt!
    Konni und Jutta

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