3.10.2019 Der Wetterbericht ist auch nicht mehr das, was er einmal war

Es zeichnete sich bereits vor drei Tagen ab, dass der Mittwoch ein fahrbarer Tag werden könnte. Die Nacht zuvor war noch sehr stürmisch, der Wind sollte sich jedoch vormittags legen und den Tag über durchgehend nicht über 18 Knoten auch in den Böen gehen mit stetig abnehmender Tendenz. Es war auffällig, dass sich die mittlere und die maximale Windgeschwindigkeit im Tagesgang nicht unterscheiden würden. Egal, da auch die Windrichtung zunächst nach Calais und dann um die Ecke nach Boulogne sur Mer stimmte, war das die Chance für mich, wieder einmal ein Stück voranzukommen. Es war zugleich klar, dass es eine hohe Welle geben würde, da die Tage zuvor stets Sturm herrschte, wobei die mit 7 Sekunden angegebene Wellenperiode eher ein gleichmäßiges Auf und Ab erwarten ließ. Diese Prognose war bereits seit Tagen stets gleich.

Ich wartete die Zeit bis 5 Stunden vor dem Hochwasser in Dover ab, um von der dann herrschenden Tidenströmung im Kanal zu profitieren, machte die Segel, Kutter und Groß mit zwei Reffs, bereits im Vorhafen klar. Das Meer empfing mich wie erwartet mir hohen Wellen, allerdings schienen sich mehrere Hauptwellenrichtungen zu überlagern, was letztlich doch wieder zu absolutem Chaos führte, nur eben ein Stock höher als bisher. Meine üblen Erwartungen wurden allerdings durch einen Blick auf die Logge etwas gedämpft, denn dort standen schnell 7 Knoten. Die Tagesstrecke sollte mit ca. 60 km nicht zu lang sein, also los mit gutem Mut und mit der Erwartung, dass die Bedingungen, wie angesagt, besser würden.

Das Revier ist hier begrenzt auf eine betonnte Strecke entlang der Küste, deren Verlassen gefährlich werde kann, denn es wird daneben schnell flach. Also fuhr ich entlang des Tonnenstrichs, um den Großschiffverkehr nicht zu behindern. Dann der erste Schock: Beim dichten Passieren einer Tonne, erwischte mich eine total chaotische Welle, die mich kurzerhand um die ca. 10 Meter nach Backbord Abstand zur Tonne versetzte und die Odd@Sea gegen die diese schlagen ließ. Ein Entgegensteuern blieb ohne Erfolg. Das fühlt sich dann so an, al würde man selbst körperlich betroffen sein, schrecklich. Allerdings war mir klar, dass mein Schiff sehr stabil ist und mehr als eine Beule nicht davontragen würde. Eine Leckage wäre allerdings katastrophal. Ich hätte gerne einen Blick auf den Schaden gerichtet, musste mich allerdings unter diesen Bedingungen zwischen Steuersitz und Seitenwand fest einspannen, da die Bewegungen des Schiffes grandios waren und ich mich nicht hätte halten können. Egal, ich machte das, was wohl auch gut war, ich fuhr einfach weiter.

Die angesagte Verbesserung der Bedingungen trat nicht ein. Im Gegenteil, der Wind wurde jetzt böig mit Stärken bis knapp unter 30 Knoten und die See wurde immer wilder. Ich änderte mein Tagesvorhaben und kürzte die Strecke auf Calais. Nun kann man nicht einfach aufhören und anhalten, wenn man auf See ist. Ich musste noch etwa eineinhalb Stunden das Schiff führen, um in den Hafen zu kommen. Augen zu und durch war als die Devise.

Übrigens, der Autopilot war sehr gut in der Lage, das Schiff auf Kurs zu halten, er kam mit den Wellen offensichtlich gut zurecht. Dennoch zog ich es vor, selbst zu steuern, denn ich konnte ohnehin den Steuerstand nicht verlassen, da ich mich wahrscheinlich nicht hätte aufrecht halten können.

Allerdings kam dann der Zeitpunkt, wo mir mein Magen die rote Karte zeigte. Es half alles nichts, ich musste mich zunächst um dieses wichtige Organ kümmern. Als ich mich auch der zähen Magenschleimhaut entledigt hatte, ging es mir wieder erstaunlich gut. Zwar gedämpft im Kopf, aber doch körperlich ganz gut. Dass mir dann noch die Travellerleine riss und der Großbaum die von ihm selbst als angenehm empfundene Lage einnahm, war dann nicht mehr so tragisch. Ich war noch nicht oft so froh wie an diesem Tag, als ich in die Einfahrt von Calais fuhr.

Nun ist der Hafen bei Nordwind eigentlich überhaupt nicht geschützt, aber das betrifft eigentlich nur die großen Englandfähren. Aber die sind groß und träge. Meine Hoffnungen lagen auf einer sehr gut geschützten Marina, die allerdings nur angefahren werden kann, wenn eine Hubbrücke aufgemacht wird. Das geschieht aber nur zu wenigen Zeitpunkten und während der Ebbe über Stunden überhaupt nicht, denn dann schließt ein Schleusentor den Hafen völlig zu, damit dieser nicht sein Wasser verliert und seine Mieter mit ihren Schiffen nicht im Schlick stehen. Meine Versuche, die Marina über Funk anzusprechen schlugen fehl, da diese nicht besetzt war. Nun muss man sich vorstellen, dass der Eigentliche Vorhafen der Marina größtenteils mit einem Bojenfeld belegt und nicht befahrbar war. Die verbleibenden Streifen waren relativ schmal und die umgebenden Piers nicht benutzbar. Also hieß es, den Motor laufen zulassen und ein Spiel aus schwojen lassen und Freiraum gewinnen bei dem nach wie vor starken Wind so lange zu spielen, wie es eben brauchte. Ein Versuch, an einer recht brauchbar aussehenden Pier anzulegen scheiterte schlicht an der zu hohen Dünung, die hier im Hafen lag.

Nach etwa einer dreiviertel Stunde antwortete die Polizeistelle des Hafens auf der Frequenz der Marina und belehrte mich, dass ich mich bei dieser hätte auf einem anderen Kanal zunächst melden müssen, um eine Einfahrtgenehmigung nach Calais zu erhalten. Die Auskunft war klar, aber auch sehr freundlich formuliert und endete mit der Zusage, dass er sich um einen Schleusenwärter kümmern würde, damit mir die ansonsten geschlossen gebliebene Brücke öffnen würde. Es hätte sich ohnehin noch ein Motorboot angekündigt, welches in etwa 10 Minuten ebenso in die Marina einfahren möchte. Also, noch 10 Minuten Seiltanz zwischen den Piers und den Bojen und dann öffnete sich die Brücke und das Einfahrtlicht schaltete von Rot auf Grün.

Ohne die hilfreichen Hände des Marinapersonals, hätte ich wirklich Mühe gehabt, an dem Besuchersteg bei ablandigem Wind anzulegen. Ich hatte übrigens in Scheveningen von einem erfahrenen Alleinfahrer eine Methode gelernt, wie man ein Schiff eigentlich in jeder Situation festmachen kann. Hierbei wird zunächst das Heck in die Nähe eines Festmachers am Steg gebracht und dort die Achterleine von Bord aus übergelegt und an der Klampe festgemacht. Dann braucht man nur noch ein gefühlvolles Händchen am Gas, um mit Vorschub das Boot auch gegen den Wind seitwärts an den Steg zu legen. Das dauert ein wenig, geht aber tadellos, wie meine Übungen dazu mich lehrten.

Mein erster Blick richtete nach der Ankunft auf die Stelle, an denen die Tonne im Rumpf der Odd@Sea einschlug. Diese liegt an Backbord, etwa unterhalb der Luke der Achterkoje direkt oberhalb des Rumpfknicks, der oberhalb der Wasserlinie liegt. Es ist eine schwache und DIN A3 große Beule zu erkennen, keine Schrammen oder sonstige Besonderheiten. Strukturell scheint kein Problem vorzuliegen. Etwas Sorgen macht mir, dass eine hölzerne Schließplatte im Möbeleinbau, die bisher stets eine außerordentlich fugenlose Fügung zum Schapp aufwies, nunmehr einen sichtbaren Spalt zeigt. Ich werde versuchen, Zugang zur Außenwand in diesem Bereich zu schaffen und die Beule mit schwerem Gerät wieder nach außen zu drücken. Dann sollte auch das Möbelstück wieder zwangsfrei gehalten werden können.

Morgen soll es tatsächlich schwachen Wind aus eher umlaufenden Richtungen geben, sodass ich die letzten etwa 40 km nach Boulogne fahren werde. Allerdings gibt es nur zwei Tageszeiten, zu denen die Schleuse geöffnet wird, um 4:02 und um 16:18 Uhr. Ich habe mich für die spätere Zeit entschlossen und hoffe, dass ich morgen bei nur 0,5 Meter angesagter Welle angenehm und schnell noch vor dem Sonnenuntergang dort eintreffen werde. Also habe ich heute viel Zeit um mir noch ein schönes Mittagessen zuzubereiten.

Ein Gedanke zu „3.10.2019 Der Wetterbericht ist auch nicht mehr das, was er einmal war“

  1. Hallo Jürgen,
    Ich habe das Geschehen fast physisch verspürt! Toll geschrieben!
    Wir haben Oigen wieder und waren gerade in Süddeutschland und haben Freunde besucht.
    Weiter gut Fahrt.
    Konni und Jutta

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