4.10.2017 Zwei Wochen lang wohnen und warten auf der Werft – vor drei Tagen ging es endlich wieder weiter

Vorausschicken muss ich, dass die mehr als zwei Wochen in Bingen zwar vom Grund her ärgerlich waren, diese dort aber durchaus ihre Reize hatten und daß die letzten drei Tage dennoch aber wie eine Befreiung wirkten und auch über die Maßen anstrengend gewesen sind, sodaß ich nach jeder abendlichen Ankunft in einem Hafen nur noch ins Bett fallen konnte. Ich bitte um Verständnis, daß ich erst heute wieder über die Fortsetzung meiner Reise schreibe.

Zunächst zum Werftaufenthalt: Es arbeiten auf der Binger Werft der Chef, ein über Achtzigjähriger, der aber keineswegs den Eindruck eines älteren Herren vermittelt, zwei sehr fleißige und sehr freundliche Mitarbeiter und ein weiterer, sehr kompetenter und hilfsbereiter Techniker, der dort gerade eine Motorjacht saniert, aber stets mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn es Probleme gibt. Und die gab es bei der Odd@Sea in vielfacher Weise. Ich danke allen Beteiligten auf der Werft für zwei, trotz des Aufenthaltsgrundes angenehme Wochen in Bingen, für die vielen wirklich guten Ratschläge technischer und organisatorischer Natur.

Zunächst galt es, die Versicherung zu informieren, denn die Kostenschätzungen ließen auf einen Preis schließen, der höher ausfallen würde als die Selbstbeteiligung. Da diese auch über das Internet kommuniziert, ist das bisher nicht sehr aufwändig gewesen.

Meine Erwartung, daß der Austausch von Antriebswelle und Schraube nur einige wenige Tage in Anspruch nehmen würde, bestätigte sich leider nicht, obwohl die ebenfalls festgestellten kleineren Schäden am Rumpf als unkritisch eingestuft werden konnten. Die kritischste davon habe ich selbst mit einem 3 mm starken Aluminiumblech und Sikaflex zumindest langfristig gegen weiteren Schaden gesichert. Eine geeignete Welle war in einem Lager in der näheren Umgebung verfügbar und benötigte lediglich eine genaue Ablängung und eine Kerbfedernut, die eingefräst werden mußte. Das machte eine Metallwerkstatt um die Ecke sofort, sodass die Welle noch vor dem ersten Wochenende in Bingen fertiggestellt war. Dann mußte der Montag abgewartet werden, um diese einzubauen. Morgens um 7:00 Uhr riefen mich laute Hammerschläge in meiner Koje aus dem Tiefschlaf. Diese signalisierten mir den beginnenden Einbau der Welle, der sich jedoch, wie auch der Ausbau der alten Welle, sehr schwierig gestaltete, da aus unerfindlichen Gründen das Ruder und dessen Aufhängung in der Fluchlinie des Stevenrohrs liegen. Man muss wohl bei der Produktion des Schiffs in Frankreich die Welle bereits vor dem Einbau der Steuerung vorgenommen haben. Die findigen Praktiker auf der Werft hatten bereits beim Ausbau der Welle mittels eines Gabelstaplers sowie eines Stahlseil und eines sehr großen Wagenhebers das Kunststück vollbracht, die Ruderaufhängung und den sog. Skeg genügend weit seitlich elastisch zu verbiegen, dass die Welle demontierbar war. So taten sie es auch erfolgreich beim Einbau, herbei jedoch mit etwas Fett.

 

So schön sieht sie aus, die neue Schraube

Die Schraube sollte, aus England kommend, noch vor dem Wochendende in Bingen eintreffen und so hatte ich die Hoffnung, dass mein Aufenthalt in der Werft nach einer Woche beendet sein würde. Leider hatte man beim Verkäufer in Köln die dort rechtzeitig eingetroffene Schraube schlicht vergessen und für fast eine ganze Woche liegen gelassen. Eine leider etwas spät durchgeführte Nachfrage sorgte dann erst für deren Versand und Eintreffen am Freitag. So stand für mich ein zweites Wochenende Leben auf dem Schiff im Trockenen auf dem Plan. Am Montagmorgen riefen mich wieder die Hammerschläge wach und ich konnte mit Freude feststellen, daß die Mannschaft die neue Schraube einbaute und meine Abfahrt noch an diesem Tag bevor stand.

Dann ging alles ganz schnell. Am Wochenende hatte ich das Geld für die Werft beschafft und diese auf deren Wunsch hin bar bezahlt. Das ist bei größeren Beträgen nicht so einfach. Dann wurde das Schiff klar zur Abfahrt gemacht und die Ablegeprozedur mit dem Kranführer besprochen. Das ist insofern spannend, da für mich das Manöver wieder mit dem bereits beschriebenen Flug unter dem Kran begann und da erst nach dem Eintauchen des Schiffs wegen der Seewasserkühlung der Motor angelassen werden kann. Dann folgte das Warmlaufenlassen und Lösen der Leine für die Landverbindung bevor die eigenständige Fahrt gegen den and dieser Stelle mit ca. 3 Knoten sehr turbulent fließenden Rhein beginnen konnte. Es ging aber alles unglaublich einfach und leicht von der Hand. Die Anspannung vor dem Manöver hat sich auch deshalb gelohnt, da es ein sonniger, sehr schöner Tag, der Tag der Deutschen Einheit war, der mich noch bis nach Wiesbaden bringen sollte.

Bevor ich darüber berichte, möchte ich noch ein paar Worte über die zwei unbeabsichtigten Ruhewochen an Land verlieren. Einerseits geht natürlich wertvolle Zeit verloren für eine Ankunft im süd-östlichen Mittelmeer vor dem Winter am Bosporus. Andererseits gibt es aber auch in der jeweiligen Situation sehr viel Neues zu erkunden, Menschen kennenzulernen und Dinge zu tun, die man sonst nie tun würde. Alles in Allem also doch keine verlorene Zeit.

Das Leben an Bord eines aufgebockten Schiffes ist anders als im Wasser – es liegt ruhig. Allerdings liegt es nie gerade, sondern es entsteht eine schiefe, nach vorne geneigte Ebene, die jede eigene Bewegung gefühlt anders macht, als im bewegten Normalzustand. Man hat z.B. das Gefühl, aus dem Bett zu fallen, wenn die Koje, wie bei mir, quer zum Rumpf genutzt wird. Beim Kochen muß man ebenfalls aufpassen, wie man sich leicht vorstellen kann. Das Gleichgewichtsempfinden ist jedenfalls ständig gestört, da es nichts mit der Realität eines Schiffes zu tun hat. Ausserdem kommt man nur mit einer langen Leiter an Bord. Es gibt auch keine Serviceeinrichtungen auf einer Werft ausser einer Toilette. Zum Duschen, Spülen und Kochen werden die normalen Bordauslässe genutzt, was sich nur erstaunlich begrenzt auf die sichtbare Befeuchtung der Betonfläche auswirkt.

Es war eine wirklich gute Idee, dass ich mir vor der Abfahrt ein Fahrrad und einen „Hackenporsche“ zugelegt hatte, denn letzterer half dabei, aus der nur ca. 25o m entfernten Straßentankstelle Diesel für einen normalen Preis zu beschaffen. Mit nur drei Gängen an verschiedenen Tagen waren 140 Liter getankt und der Tank somit wieder voll. Das lohnt sich bei einem Literpreis von bis zu 1,55€ pro Liter an einer Bootstankstelle (gezahlt in Brandenburg/Havel)!

Mit dem Fahrrad habe ich in diesen Tagen bei überwiegend wunderschönem Wetter viele Fahrten unternommen, einige davon unter Nutzung der Regionalbahnen und Fähren von Bingen aus. So standen u.A. Besuche in Bad Kreuznach, Budenheim, Mainz und Rüdesheim mit dem Denkmal der Germania, zu der eine Seilbahn fährt, sowie den direkten Nachbarorten von Bingen auf dem Programm. Außerdem habe ich die Weinberge rund um meinen Standort mit dem Rad befahren und war stolz darauf, dass ich auch die steileren Abschnitte ohne abzusteigen fahren konnte. Das war Sport vom Fensten, was sicher die eher bewegungsarmen Zeiten bei der Fahrt mit dem Schiff etwas kompensieren half. Die fast täglichen Routinefahrten für Einkäufe und zum abendlichen Bier am Rhein in einem sehr schönen Ausflugslokal direkt am Rheinufer in der Nähe waren sicherlich auch vorteilhaft in dieser Hinsicht.

Die Germania, dieses Mal aus der Nähe

Der Rhein wurde mir in diesen Tagen in seiner Funktion als deutsche Lebensader bewußt. Ein Großschiff nach dem anderen in beiden Richtungen auf dem Wasser, beidseitig stark befahrene Bundesstraßen sowie jeweils zwei- bis dreispurige Bahngleise auf denen die Züge im gefühlten Minutentakt verkehren. Gott sei Dank ist mein Schiff im Inneren sehr gut schallisoliert, sodass ich nur wenig Lärmbelstigung empfand.

Die Beschreibung der touristischen Merkmale dieser außergewöhnlich schönen Gegend können fachgerecht formulierte und illustrierte Prospekte besser als ich, der sich im Folgenden auf ein paar Worte zur Weiterfahrt beschränken möchte.

Die Fahrt zum Schiersteiner Hafen in Wiesbaden führte mich an der rheinland-pfälzischen Hauptstadt Mainz gerade an dem Tag der Deutschen Einheit vorbei. Das Ufer war gesäumt von riesigen Ständen sowie unzähligen Menschen, die sich zur Großveranstaltung mit den Politikgrößen der Nation versammelten. Auf dem Rhein sicherten unglaublich viele Polizeiboote die Szene und ich fragte mich, welche Wirkung der Aufwand haben sollte. Auch ich wurde von einem kleineren Polizeiboot bei voller Fahrt angelaufen und von ziemlich nervösen Polizisten nach meinem Vorhaben gefragt. Meine wahrheitsgemäße Antwort ließ diese dann allerdings lächeln und mir eine gute Fahrt wünschen. Irgendwie scheint auch bei den martialischsten Aktionen die Menschlichkeit nicht abhanden zu kommen.

Das Wahrzeichen von Wiesbaden
Tag der Deutschen Einheit in Mainz

In Schierstein besuchte mich ein Freund meines „Retterpärchens“, der zugleich dem Vorstand des dortigen Wassersportvereins angehört. Günter war derjenige, der mir seine Hilfe während der Liegezeit angeboten hatte, mich in Bingen mit seinem Wagen abholte und nach Bad Kreuznach zur Beschaffung eines Ersatzteils chauffierte. Ich danke Dir noch einmal herzlich für Deinen Einsatz und die beiden Begegnungen mit Dir, lieber Günter.

Den Nachmittag in Schierstein widmete ich mich der Hinterlassenschaft der vielen Zugvögel, die zu dieser Zeit durch das Rheintal in den Süden fliegen und sich offensichtlich einen Spaß daraus machten, die Odd@Sea mit ihrem Kot zu verschönern. Da die estethischen Auffassungen zwischen den Lebewesen unterschiedlich sind, habe ich das völlig zugeschissene Deck meines Schiffes ausgiebig mit dem Schrubber bearbeitet, bis es Nacht wurde.

Endlich in die Main-Donau-Wasserstrasse wechseln

Leider konnten Regine und Stefan (meine Retter in der Not) an dem Tag, an dem ich im Frankfurter Westhafen festgemacht habe, unser geplantes Treffen nicht realisieren, da sie sich auf einer lange geplanten Tour mit ihre Schiff nach Koblenz befanden und mein Eintreffen in Frankfurt ein paar Tage zu spät war. Schade.

Erstaunlich war hier aber wieder einmal mehr ein wahrhaft schönes Erlebnis mit fremden Menschen: Auf der Suche nach einem geeigneten Liegeplatz fuhr ich langsam immer tiefer in den großen Hafen ein, unwissend, dass der öffentliche Teil der Marina im vorderen Teil gelegen ist, der mir aber nicht geeignet erschien. Auf einem festgemachten Motorboot standen ein Mann und eine Frau, die mir mit den typischen Handzeichen signalisierten, dass ich doch an ihrem Boot zum Päckchen festmachen sollte. Das tat ich unverzüglich und erfuhr dabei, dass ich soeben nicht nur zwei äußerst hilfsbereite sondern auch sehr nette Menschen kennengelernt habe, die mir zu einem kostenfreien Liegeplatz verholfen haben. Leider mussten beide nach einem kurzen aber interessanten Gespräch sich wieder aus Zeitmangel verabschieden. Schade.

Ankunft in Frankfurt/Main

Der Westhafen – ein urbaner Hafen
Abendstimmung im Frankfurer Westhafen – aus meinem Fenster gesehen
Abfahrt aus Frankfurt/Main

Neun Schleusen habe ich seit dem Rhein durchfahren und die bereits früher gewonnene Schleusenroutine ist wieder da. Da sich ein Mensch nur selber koordinieren muss, wenn er einhand unterwegs ist, läuft es, so habe ich den Eindruck, viel entspannter und im Ergebnis besser. Eigentlich glaubte ich, dass mit der Einfahrt in den Main das Kämpfen gegen die Strömung ein Ende hätte. An der Loreley blieben von den sieben Knoten, die das Schiff fahren kann, nur noch drei übrig. Hier im Main „fehlt“ immerhin noch etwas mehr als ein Knoten, obwohl der Fluß durch Schleusen kanalisiert ist. Ich muss also konservativer als bisher planen.

Gestern bin ich plangemäß zum Spätnachmittag im Hafen von Mainaschaff angekommen. Wenn ich gewußt hätte, wie klein dieser Hafen ist, und es 5 km weiter stromauf einen erheblich größeren Hafen gibt, wäre ich gestern auch noch in die Dämmerung hinein gefahren, um dort zu liegen. Nicht, dass es hier nicht sehr schön und besonders idyllisch wäre und die Einfahrt trotz der Enge der Zufahrt zu der Steganlage bei Windstille auch kein Problem gemacht hatte, ein Umkehren wäre nach der Einfahrt wegen der Größe der Odd@Sea aber auch nicht möglich gewesen. Das Losmachen der Leinen bei Wind, wie er heute hier bläst, traue ich mir jedoch einfach nicht zu. Ich möchte die Anlagen und die Boote hier nicht gefährden. Dafür benötige ich landseitige Hilfe, die mir auch von dem telefonisch angesprochenen Hafenmeister für den Nachmittag zugesagt wurde. Die Wartezeit fülle ich mit dem, was ich gerade mache: Ich schreibe diesen von einigen Lesern heftig nachgefragten Blogbeitrag. Danach werde ich in den oben beschriebenen Stadthafen in Aschaffenburg wechseln und den Rest des Tages dort genießen.

Hafen Mainaschaff
Eine ziemlich enge Einfahrt
Hinter der Odd@Sea ist kaum noch Platz für andere Boote

Im Moment herrscht hier im kleinen Hafen von Mainaschaff zunehmender Sturm und ich werde wohl die Nacht hier bleiben müssen, denn ich glaube, dass selbst viele Hände mein Schiff hier nicht bruchfrei in Bezug auf die Steganlage und die anderen Schiffe herausbekommen.

Schaun mer mal.

2 Gedanken zu „4.10.2017 Zwei Wochen lang wohnen und warten auf der Werft – vor drei Tagen ging es endlich wieder weiter“

  1. Hallo Papa,
    hast Du den Sturm gut überstanden? Hier war es derart stürmisch, dass diverse Bäume entwurzelt wurden und sogar eine Frau von einem umstürzenden Baum im Auto erschlagen wurde!
    Ich hoffe Du hast alles sich überstanden. Vielleicht bist Du ja auch noch in dem kleinen Hafen geblieben.
    Viele Grüße!

  2. Weiterhin „Gute Fahrt“ und die berühmte „Handbreit Wasser unter dem Kiel“! Hier bei uns sagt man: “ zwei Fingerbreit Riesling im Glas“. Schade, dass keine Zeit war, davon ein Glas zusammen zu trinken!
    Sollte bis Nürberg noch etwas passieren: meine Nummer hast Du ja.
    Günter

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