8.2.2018 Die folgenden Überlegungen sind entstanden in den Starkwind- und Sturmnächten auf der Odd@Sea, über die ich im Blog berichtet hatte

Wenn man in einem Hafen liegt, der den ganz normalen Umgebungsbedingungen, nämlich Wind und Welle unterliegt und über längere Zeit tags und nachts an Bord sein muss, dann kommen einem automatisch Gedanken darüber, wie denn das Bewegungschaos, dem man ausgesetzt ist, zustande kommt. Es gibt die angenehm weichen Vertikal-, Nick- und Gier-Bewegungen, die beim Einschlafen sehr behilflich sein können, wenn man sich darauf einlässt und nicht darüber nachdenkt. Wenn man das Schiff sichern möchte und bei härteren Bedingungen an Bord verbleiben muss, dann kommen die beängstigenden ruckartigen Bewegungen um alle drei Achsen zustande, die nicht nur einem persönlich hart zusetzen, sondern auch so stark sein können, dass die Leinen brechen und das Schiff damit sehr stark gefährdet wird. Ich habe über meine Erlebnisse in Sturmnächten (Evorie Nord und Kyparissia) berichtet, bei denen Leinen gebrochen oder durchgescheuert (nautisch: schamfielt) wurden.

Dem wissenschaftlich Denkenden fallen zunächst in dem Bewegungschaos rhythmisch erfolgende Abläufe auf. Eine ruckartige Bewegung kommt nie allein, sondern wird häufig durch eine in der Wirkung abnehmende Serie von gleichartigem oder auch zwei in der Wirkung unterschiedlichen Belastungsrichtungen begleitet. Schaut man sich die Abläufe einmal von Land aus an, dann wird man erkennen, dass die vier Grundleinen stets zusammen wirken. Es gibt zwei kurze, nach vorne bzw. nach hinten in kleinem Winkel zur Pier (ca. 45°, Bug- und Heckleine) und zwei steil (> 75°) nach vorne und hinten verlaufende Leinen (Vor- und Rückspring). Letztere sichern das Schiff gegen Längsbewegungen, die anderen sichern einen Maximalabstand von Bug und Heck von der Pier. Zusammen bilden diese Leinen eine Konfiguration, welche das Schiff im zeitlichen Mittel auf einem konstanten Abstand zur Pier sowie am gleichen Ort hält. Das tut es auch bei Windstille und ohne jegliche Wasserbewegung. Das ist allerdings Theorie! Da die Dichte des Wassers 1000-mal so groß ist wie die der Luft darf man davon ausgehen, dass der Wind nur eine unbedeutende Rolle spielt bei dem Geschehen. Das Verhalten des Wassers ist allerdings durch die dreidimensionalen Wellenbewegungen kaum nachvollziehbar. Hinzu kommen die Wirkungen der Pier, welche geometrisch sehr unterschiedlich aufgebaut sein kann. Es gibt Durchfluss Öffnungen, gewellte Spundwände, ebene Wände oder Ausschnitte, die alle eine andere Bewegung des Wassers, z. B. die Reflexion der Wellen verursachen. Es ist also nicht der Wind, der die Leinen brechen lässt, sondern der darauf beruhende Schwell. Wenn die Leinen aus biegesteifen Stangen bestehen würde, könnte man bei der beschriebenen Konfiguration leicht die Belastungen ausrechnen, die auf das Schiff von diesen her einwirken. Bei Veränderungen nimmt das Schiff eine geänderte Lage ein. Nun verhalten sich Leinen aber nur in Bezug auf die Zugbelastungen wie Stangen. Ansonsten tragen diese keine Kräfte. Schaut man genau hin, dann kann man erkennen, dass jeweils nur eine oder max. zwei der Leinen belastet, also straff sind, während alle anderen durchhängen, es sei denn, dass das Schiff bei Windstille und unbewegtem Wasser liegt. Dann hängen alle Leinen in gleicher Weise durch. Immer wenn eine Störung, sei es durch Wind oder Wellenwirkung erfolgt, kommt es zu komplexen Schwingungen, wobei jeweils beim Straffen einer Leine eine oszillierende Bewegung des Schiffs angeregt wird, denn die Wirkung der einen Leinenkraft beschleunigt das gesamte Schiff zunächst sowohl um die Hoch- als auch die Längs- und Querachse. Die so entstehende Bewegung lässt sofort eine andere Leine straff werden, die dann ihrerseits eine anders geartete Beschleunigung und Schwingung erzeugt. Man kann sehr leicht einsehen, dass die Gesamtbewegung nur im hypothetischen Fall einer eindimensionalen Störung berechenbar ist, denn die wirkliche Anregung erfolgt überaus komplex durch das Wasser, die Luft oder auch ggf. die Fender, die wie Federn das Schiff gegen die Kaimauer abstützen, aber keine Zugkräfte übertragen können, die alle ihrerseits Kräfte gegenseitig und aufgrund der Bewegungen des Schiffs aufbauen. Schaut man dem Schiff beim Schaukeln an der Pier eines Hafens mit Schwell zu, dann wird man bemerken, dass es überhaupt keine Regel für die Kräfte aus dem Wasser gibt. Manchmal wird es aus der Ruhelage heraus ruckartig in irgendeine Richtung beschleunigt, manchmal erfolgt dieses sehr sanft. Die Richtung kann man nie voraussagen, sie bleibt dem Unterwassergeschehen überlassen, welches wir nicht sehen, nicht einmal ahnen können. Lediglich die gefährlichen Vertikalbewegungen aus Wellen kann man angesichts einer anrollenden Wellenfront gut abschätzen. Hat man sein Schiff zu kurz angebunden „kämpft“ ein Festmacher durchaus einmal gegen die ansteigende Auftriebskraft, einen Kampf, den sie nie und nimmer gewinnen kann. Man hört einen Knall und die betroffene Leine bricht. Alle anderen Kraftrichtungen, also sämtliche horizontalen, sind dagegen erheblich weniger gefährlich für das Material.

Die in der Praxis häufig verwendete Leinenkonfiguration, wie sie oben beschrieben wurde, beruht wegen der Chancenlosigkeit einer analytischen Behandlung auf einer reinen empirischen Beobachtung. Hier enden wohl die wissenschaftlichen Möglichkeiten oder die Aufgabe ist wohl gesellschaftlich oder wirtschaftlich zu irrelevant, um Erklärungen und Handlungsempfehlungen über Studien daraus abzuleiten.

Wenn man sich viele Stunden über die Schaukelei an Bord an einer Pier bei Wind und Welle über den mangelnden Komfort des Daseins geärgert hat, dann kommen einem derartige Gedanken. Das Problem könnte man aber auch beim christlichen Anlegen oder beim Ankern vermeiden, denn da sind die Schiffsbewegungen viel einfacher zu deuten und zugleich fallen die unkomfortablen ruckartigen Bewegungen weg, die mir schon so manches Mal die Beine in irgendeine Richtung weggerissen haben.

Hier noch ein Nachtrag zum letzten Bericht über den Hafen von Leuca.

Die Brandung, die durch die Wellenbrecher am Eindringen in den Hafen gehindert wurde, waren gestern ganz erheblich
Der Hafen ist zum Teil eine Marina im vorderen Teil und ein Fischereihafen am Wellenbrecher hinten. Dort steht auch die Odd@Sea.

Ich wünsche eine gute Nacht.

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