9.12.2017 Irgendwie muß ich wohl den Gegenwind magisch anziehen!

Zunächst zum Einklarierungsprozess in die Türkei: Der Agent, den der Marinachef organisiert hatte, sagte mir zunächst die vollständige Abwicklung des Einkalrierungsprozesses zum Abend des Ankunftstages telefonisch zu. Ich mietete den sündhaft teuren Liegeplatz deshalb nur für die Nacht. Er kam dann erst am Abend zum Schiff, um die nötigen Dokumente abzuholen und wollte später noch einmal zu mir kommen, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Das tat er nicht, sondern vertröstete mich zunächst telefonisch auf den Vormittag des kommenden Tages. Auf meinen Anruf am nächsten Vormittag hin, wann er denn komme, erwiderte er mit einem Termin am Nachmittag. Damit war an eine Weiterfahrt an diesem Tage nicht mehr zu denken, denn für die nächste geplante Strecke würde ich fast die gesamte Tageslichzeit benötigen. Also mietete ich mich erneut für eine Nacht in der Marina ein. Ein paar Minuten später rief er mich an, dass ich mich in ein paar Minuten am Polizeianlieger, der etwa einen Kilometer (dieses Mal mit dem Wind!) entfernt liegen würde, mich zur persönlichen Vorstellung zum Passabgleich einfinden solle. Ich machte sofort das Schiff klar, fuhr los und mußte feststellen, dass der Anleger der Polizei eine mit Aussparungen versehene Betonwand von etwa 2 Metern Höhe ist und die See mit mehr als einem Meter Seegang ungebrochen dagegen schlug. Nach einer Ehrenrunde vor diesem gefährlichen Ort zog ich es vor, umzukehren und wieder in der Marina an gleicher Stelle wie vorher festzumachen. Meiner Argumentation am Telefon, dass ich mein Schiff nur ungern zerstören würde, konnte gefolgt werden. Mein Agent, übrigens ein sehr freundicher junger Mann, der vor einer Woche gerade Vater eines Jungen geworden und entsprechend stolz darauf ist, holte mich daraufhin mit seinem großen BMW ab und brachte mich in wenigen Minuten zur gleichen Polizeistelle, wo mich ein Beamter der Grenzpolizei für einen Augenblich anschaute und uns beide wieder verabschiedete. Was für ein Aufwand. Die nächste Hochrechnung für die Geschäftsabwicklung wurde dann auf den Morgen des nächsten Tages festgelegt. Tatsächlich bekam ich dann meine Papiere und das erstrebte Transitlog mit den wichtigen vier Stempeln erst weit nach dem Sonnenuntergang des nächsten Tages.

Ich konnte nun laut Wetterbericht damit rechnen, dass es für die kommenden drei Tage Starkwind mit hohen Wellen geben würde. Natürlich aus der Richtung meines Zielortes, was den Einsatz von Segeln obsolet macht und von den 6,3 Knoten unter Motorfahrt nur noch 3 bis 4 Knoten übrig lassen würde. Das würde bedeuten, dass ich noch einige Tage an diesem Ort bleiben müßte, der mir mein Taschengeld auffrißt, wie nichts Gutes. Ich möchte nicht vergessen zu erwähnen, dass diese Marina sehr exklusiv ist und an meinem Steg nur Schiffe oberhalb der 50-Fuß-Klasse liegen, nach oben unbegrenzt. Von diesen Stegen gibt es zahlreiche und dann kommen noch gigantische Motoryachten an anderen Stegen hinzu. Soetwas habe ich bisher noch nicht aus der Nähe gesehen!

Nach Rücksprache mit meinem nautischen Berater Erik konnte dieser mich davon überzeugen, dass der Liegetag im nächsten Hafen in etwa 5 km Entfernung wahrscheinlich deutlich billiger sein würde und die Fahrt dorthin auch angesichts der Wetterverhältnisse am kommenden Morgen zwar ungemütlich, aber letztlich unproblematisch sein würde. Ich danke Dir, lieber Erik, einmal mehr für diesen Rat, der sich vollständig bewahrheitet hat. Es war für mich wieder einmal eine neue Herausforderung und damit neue Erfahrung, unter diesen Umständen auf See zu fahren. Ich war wahrscheinlich auch schon deshalb positiv diesem Abenteuer gegenüber eingestellt, weil ich nur mit maximal einer Stunde Fahrzeit zu rechnen hatte. Nach dem komfortablen Tanken an einer richtigen Wassertankstelle gings dann los. Der Wind war wie erwartet hart aber relativ warm aus Westen, weniger böig als in den letzten Tagen, aber die Wellen waren mit etwa 2 bis 3 Metern deutlich höher als ich erwartet hatte. Es war auch der blaue Himmel mit ungetrübtem Sonnenschein, der mir den Mut machte, mich da durchzukämpfen. Ich bin einmal mehr überzeugt von der Eignung meines Schiffes, welches mit den hohen Wellen weicher umzugehen scheint, als mit den kleineren, aber steileren. Letztlich wurde diese Stunde zu einem Vergnügen, welches durchaus auch Trainingscharakter für die körperliche Konstitution hatte. Da der Autopilot mit diesen Bedingungen nicht so gut klarkommt, oder besser, ich hatte Mitleid mit ihm, habe ich von Hand gesteuert, was Schwerstarbeit war. Längere Strecken möchte ich allerdings so nicht absolvieren müssen.

Angekommen in dem sehr großen und völlig überfüllten Hafen mußte ich feststellen, dass es an keinem der vielen Stege einen einzigen freien Liegeplatz gab. Große und kleine Motor- und Segelachten lagen dicht an dicht und der kleine Fischereihafen war ebenfalls total überfüllt. Nachdem ich durch alle Hafenteile gefahren war und mir ein Mann auf einem der Stege mit Handzeichen signalisierte, dass ich doch an einem etwa 1,5 m langen Stegkopf festmachen wollte, was ich nicht wirklich ernst nehmen konnte, schaute ich noch einmal bei den Fischern vorbei. Einige Männer, die meine Irrfahrt durch den Hafen beobachtet hatten, luden mich ebenfalls per Handzeichen ein, mich ins Päckchen zu einem ihrer kleinen Trawler zu legen. Die Windverhältnisse erlaubten es mir erstmalig auf meiner Tour nicht, die Odd@sea ohne fremde Hilfe anzulegen, da dieser quer und abweisend zur Bordwand lag. Hier waren dann die freundlichen Fischer zur Stelle, die mir zugleich ein paar Tricks im Umgang mit einer solchen Situation zeigten. Learning by both, accepting help & doing. Wunderbar!

Auf dem AIS ist der riesige „Schiffsparkplatz“ für Seeschiffe auf der Fahrt zur Marina Attaköy gut zu erkennen. Slalomfahren ist da angesagt.
Yesilköy, der Fischreihafen mit einer kleinen Marina war mein Hafen zum Abwettern
Ich lag an einem kleinen Trawler längsseits, da nicht eine Lücke im Hafen mehr vorhanden war
In Marmaraeglesi, einem reinen Fischereihafen war es nicht anders. Es ist ein sehr gutes Gefühl, sicher in einem solchen gemütlichen Hafen zu liegen
Auch auf Besuch brauchte ich nicht zu verzichten

Ich fühle mich hier an meine Wohnung in Charlottenburg erinnert, in der ich etwa 16 Jahre lang gewohnt habe, denn ich habe hier wieder einen Flughafen vor der Haustür. Damals war es Tegel, jetzt ist es Atatürk, intl. Airport. Der rege Flugverkehr klingt mir so vertraut, die akustischen Konsequenzen stören mich überhaupt nicht, sondern lassen sentimentale Gefühle aufkommen. Immerhin bestand mein halbes Leben aus Flugwissenschaft und praktischem Fliegen.

Es ist, während ich dieses schreibe, Mittagszeit und der erwartete Sturm für die kommenden zwei Tage setzt gerade ein. Seitdem ich in das Schwarze Meer gekommen bin, begleitet mich das Windgeheul ständig, fällt mir gerade auf. Die vielen ruhigen Nächte auf der Donau waren entspannender. Aber wenn meine Leinen und die des mich haltenden Trawlers nicht brechen, dann wird schon alles gut gehen. Und noch eines ist mir in den letzten Tagen aufgefallen: Auf der Donau und im Schwarzen Meer war es stets ein imposantes Schauspiel, wenn ich nachts die Spülung meines Pumpklos benutzte. Das Seewasser, welches ich zur Spülung benutze und mit der Handpumpe ansauge, leuchtete mit unzähligen fluoreszierenden Teilchen auf kuriose Weise. Ich nehme an, dass es sich dabei um Algen oder andere Kleinstlebewesen handelte, die sich auf diese Weise informell austauschen. Jedenfalls habe ich im Marmarameer dergleichen noch nicht sehen können, das Klo bleibt dunkel. Wie schade. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen könnte sein, dass das Marmarameer eine Entmischung des schwereren Salzwassers aus dem Mittelmeer und dem in den oberen Schichten befindlichen Süßwasser aus dem Schwarzen Meer aufweist. Über eine wissenschaftlich begründete Erklärung aus einer erfahreneren Quelle wäre ich dankbar.

Da ich einmal mehr überhaupt keinen Internetanschluss zur Verfügung habe, weder über WLAN noch über meinen UMTS-Stick, und der neue Tag bereits fortgeschritten ist, kann ich noch kurz über den heute Morgen (am 10.12.2017) durchgegangenen Sturm berichten. Das war ein veritables Stürmchen mit Regen, Blitz und Donner sowie einem Wind, der dem in Eforie alle Ehre gemacht hätte. Dort war das Problem, dass ich mein Schiff längs zum Kai festgemacht hatte und der Wind auf der Bordwand stand. Die Fender mußten also den gesamten Druck aufnehmen. Hier „hing“ ich sozusagen an dem Trawler und die Auswirkungen waren sehr erträglich, obwohl die Windstärke einem schon Angst einflößen konnte. Ich blieb im Bett, bis sich das Wetter wieder beruhigt hatte, um mich nicht ständig irgendwo festhalten zu müssen, denn der Schwell im Hafen war natürlich erheblich. Jetzt ist hier Mittag, es regnet leicht und ich bin äußerst gut ausgeschlafen. Morgen geht es weiter an die Nordküste nach Marmaraeriglisi. Dazu benötige ich mehr Zeit als mir heute noch zur Verfügung steht. Die geplante weitere Route soll über Sarköy, Canakkale (nahe dem Ausgang der Dardanellen), Bozcaada (Ausklarieren aus der Türkei), Sigri (Lesbos), Psara, Omoz (Andros) zu einer der Marinas westlich von Flughafen Athen führen. Vor dort ist der Weg zum Airport kürzer und die Häfen sind (hoffentlich) nicht so teuer. Ich brauche viele Daumendrücker, dass ich das alles bis kurz nach den Feiertagen schaffe, denn ich habe ein Ticket nach Hamburg für den 28. Dezember. Morgen geht es jedenfalls erst einmal quer über das Marmarameer und ich hoffe, dass ich in der nächsten Marina wieder einmal Anschluß an die Welt über das Internet haben werde, um diese Zeilen zu übermitteln.

Was gibt mir eigentlich die Kraft, diese Abenteuer anzugehen und immer weiter zu tragen? Ich ziehe sehr viel Kraft aus dem Wohlgefühl, hier an Bord einen sicheren und überaus bequemen Ort zum Leben zu haben, der zugleich aber nicht viel von mir abverlangt. Das bedeutet nicht, dass hier alles vernachlässigt ist. Ich habe eine starke Verbindung zum Schiff und ein großes Vertrauen aufgebaut, die mich veranlasst, mich zu kümmern, mich für die treuen Dienste der Odd@Sea, die mir diese unglaublichen Erfahrungen ermöglicht, zu revanchieren. Um alles, was gerade ansteht. Es funktioniert alles, auch die Pantry ist blitz-blank. Dann kommt hinzu, dass ich die Abende bei einem Glas Rotwein und guter Musik aus einer großartigen Anlage verbringen darf. Ich höre gerade Enya und „Storms in Africa“, obwohl ich ein alter rock´n roller bin. Das hat alles eine gute Auswirkung auf mein Seelenleben und damit auch auf meine Gesundheit, die seit Beginn meines Abenteuers nicht besser sein könnte. Ich freue mich auf jeden Morgen und das, was der neue Tag an Erlebnissen zu bieten hat. Zur Nachahmung enpfohlen! Ich glaube, dass ich mich noch nie in meinem Leben so gut aufgehoben gefühlt habe, wie hier und jetzt auf meinem Schiff. Mancheiner mag den Unterschied zwischen alleine sein und einsam sein nicht erkennen. Ich bin wahrlich zur Zeit alleine, aber die Umstände meines Lebens lassen mich dennoch absolut nicht alleine sein. Es ist wohl die Fülle meines eigenen Lebens und mein stetes Bedürfnis, die Welt möglichst weitgehend kennen zu lernen, die mich zu dieser Erkennnis gebracht haben. So, jetzt ist Schluß mit der Selbstbetrachtung, denn das, was mich gerade an Tatsachen und Herausforderungen umgibt, ist weitaus interessanterer.

Ich bitte den langen Text und die im Verhältnis dazu wenigen Bilder zu entschuldigen.

P.S.: Ich konnte diesen Beitrag erst heute, am 15. Dezember, ins Netz stellen, da ich während der gesamten Zeit in der Türkei in fünf verschiedenen Häfen nach Istanbul kein Internetzugang bekommen konnte und heute auf der Insel Limnos in Griechenland eingetroffen bin. Über die Zwischenzeit wird es in kürze einen Beitrag geben. Ich bitte um Verständnis.

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