24.10.2019 Ich bin völlig besoffen, aber es kommen ja noch drei aufregend-schöne Tage!

Es sind jetzt mehr als 2 Wochen her, seitdem ich zuletzt auf dem großen Meer unterwegs war, obwohl ich schon längst mindestens im Süden Portugals, also südlich von Cascais, sein wollte. Egal, das Wetter hat darüber entschieden, dass ich mich immer noch in Dieppe, also in der Normandie befinde. Der heutige Tag brachte mir einen Höhepunkt an Wind aus Nordost, der leider nur kurzfristig aus Nordost, also aus einer für mich sehr interessanten Richtung kam, aber leider in einer Stärke, dass es mir in meiner Blechbüchse eher sehr schlecht ging. Es gab hier einen Schwell im Hafen, der es mir zunächst unmöglich machte, auch nur ein Abendbrot an Bord zu genießen. Ich war auch ohne Essen nahe daran, dass ich kotzen musste. Insbesondere die Segelschiffe im Hafen schlingerten und insbesondere rollten dermaßen, dass man befürchten musste, dass deren Mastspitzen aneinander gerieten. Kleinere Motorboote sprangen fröhlich gegen und auch auf die Stege. Es war allenthalben Tumult angesagt.

Ich gab also zunächst jegliche Bemühungen um eine ausreichende Nahrungsaufnahme vor dem Zubettgehen auf. Der Wind drehte zu meiner Freude jedoch bei Sonnenuntergang in eine Richtung, in der dessen Wirkung deutlich angenehmer wurde und mir in der Folge  die Wahrnehmung von Leistungen des deutschen Fernsehens über das Internet erlaubte. Beim Anschauen mehrerer Sendungen von „Ladies Night“ und der vorsehungsgemäßen Vernichtung einer signifikanten Menge Rotweins verbesserte sich allerdings mein Zustand dermaßen, dass ich mich sturztrunken ins Bett legte und sehr rasch und sehr gut schlief. Leider fing der „Tanz im Hafen“ bereits am späteren Morgen wieder an und drängte mich, dass Schiff für einen ausgiebigen Rundgang durch die Stadt zu verlassen. Nun muss ich sagen, dass die Erde für einen Seemann überhaupt keinen soliden Grund bietet. Es scheint, als ob sich der Boden ständig bewegen würde. Der Körper macht die Ausgleichsbewegungen dazu von ganz alleine. Erst spät am Nachmittag wurde es dann besser. Das zum ersten Teil des Titels dieses Blogbeitrags!

In dieser Nacht machte dann übrigens eine große schwedische Segelyacht mit einem Ehepaar an Bord neben mir fest. Ich bot natürlich meine Hilfe beim Festmachen an und wir stellten dann fest, dass wir mit den Kanaren das gleiche Reiseziel haben. Sie litten genauso wie ich unter dem anhaltenden Westwind und hatten Befürchtungen, dass sie nicht rechtzeitig in Teneriffa eintreffen könnten und damit ihre Teilnahme am alljährlich stattfindenden „Atlantic Race for Cruisers“ absagen müssen. Für mich trifft das ebenfalls zu, auch wenn ich nicht teilnehmen möchte, aber mit einer zeitnahen selbstorganisierten Atlantikpassage informell davon profitieren wollte.

Der Titel dieses Beitrags hätte auch ein anderes Thema zum Inhalt haben, nämlich über ein genutztes Wetterfenster berichten können. Dieses zeigte sich bereits an einigen Tagen, jedoch war der Zeitpunkt zunächst instabil. Es war klar, dass eine sichere Tag-Nachtfahrt nach Guernsey am 22.10. möglich wurde, die allerdings auch ihre Schwächen haben wird. Die Windrichtung stimmte zwar, der Wind war allerdings eher schwach und würde erst am Morgen vor der Ankunft für eine reine Segelei geeignet sein. Es war also Motorsegeln angesagt. Es war ein ruhiges Meer mit maximal 50 cm Wellenhöhe zu erwarten. Das ist eine Bedingung für eine komfortable Fahrt, bei der der ohnehin schwächelnde Wind nicht zusätzlich durch Stampfen des Schiffs in seiner Wirkung gehemmt wird. Guernsey ist eine britische Insel vor der französischen Küste, auf denen wie auf ihre Schwestern Jersey und Alderney unversteuerter Diesel an Ausländer verkauft wird. Ein Schnäppchen also.

Die Abfahrt in Richtung Westen wird dann vorteilhaft etwa eine Stunde nach dem Hochwasser in Dover erfolgen, um die günstige Strömung zu nutzen, also um etwa acht Uhr morgens. Um sechs Uhr aufgestanden, gefrühstückt und das Schiff klar gemacht, ging es pünktlich los. Oder auch nicht, denn mir fiel auf, dass der Autopilot sich nicht zum Arbeiten überreden ließ und mir so ganz lapidar „Autopilot Fail“ ansagte. Bereits beim Auslaufen aus dem Hafen habe ich erfolglos eine umfangreiche Fehlersuche betrieben, musste aber an meinen Liegeplatz zurückkehren. Was war der Grund für das Versagen und wie konnte das Problem gelöst werden? Hier wird es jetzt äußerst peinlich für mich. Nach mehr als zwei Wochen Abstinenz in Sachen Seefahrt bin ich wohl etwas aus der Routine gefallen, denn ich hatte das Gerät schlicht nicht eingeschaltet. Was mich irritiert hatte war, dass der nicht eingeschaltete Autopilot dennoch auf seinem Display eine qualifizierte Fehlermeldung abgeben konnte. In der Tat hatte ich vergessen, wie die Schalterstellung für den Betrieb zu sein hatte. In der Routine denke ich einfach nicht darüber nach und mache diesen Fehler nicht. Aber wehe, wenn diese Routine unterbrochen wird. Das Problem war dann schnell durch Bewegen des Schalters gelöst und die Fahrt konnte mit einer im Hinblick auf das „schiebende“ Wasser wertvollen Stunde Verspätung beginnen. Ich werde den anonym gehaltenen Schalter jetzt mit einem Aufkleber verzieren, damit mir das nicht mehr passiert.

Anders als es dieser Einstieg suggerieren könnte, war die Fahrt auf dem fast spiegelglatten Meer bei bestem Sonnenschein ein absoluter Genuss. Leichter Wind von schräg hinten, das Großsegel voll ausgestellt, ein leises Geräusch vom langsam dahinwerkelnden Motor. Die Genua hätte voll in der Abdeckung des Großsegels gelegen, sodass ich auf diesen zusätzlichen „Motor“ verzichten musste. Es war Abwarten und Genießen angesagt.

Der Genuß wurde allerdings etwas getrübt, als ich in einer kurzen Phase etwas stärkeren Winds versuchsweise den Motor abstellte. Da ich meine Sollgeschwindigkeit allerdings nicht lange halten konnte, wollte ich die Maschine wieder anlassen und bekam zunächst einen Schock: Er rührte sich nicht, er zuckte nicht einmal. Der Schock hielt nicht lange an, denn ich erinnerte mich an die Phase in der vorletzten Reise, in der ich dieses Problem ständig hatte. Ich konnte mich aber sofort auch wieder an die Problemursache erinnern. Zwei Relais steuern den Anlassvorgang und beide können Kontaktprobleme zu den Relaissockeln haben. So verschwand ich unverzüglich im Motorraum und konnte zu meiner Verzückung feststellen, dass sich der Kunststoffkeit, der die beiden Relais gegeneinander verspannt, fehlte, was mir sofort den Hinweis auf die Störungsbehebung lieferte. Ich habe unzählige dieser kleinen Plastikteile zur Verfügung, denn diese sind eigentlich zur Unterteilung von Fächern in Materialboxen gedacht. Mit deren Einsatz war das Problem gelöst. Der Motor sprang in weniger als einer Sekunde an. So, als wollte er mir signalisieren, dass es ihm eine besondere Freude bereiten würde, wenn er seine Pflicht ohne zu murren beanstandungsfrei zu erfüllen gedenkt. Mein Fahrgenuß war sofort wieder da.

Aber was heißt genießen, wenn man die Nacht „durchmachen“ will, ohne in sich inmitten einer angemessenen Anzahl von festtrunkenen Freunden befindet? Na ja, die Musik auf ausreichende Hörlautstärke stellen, ist die erste Voraussetzung. Die Fische wird es nicht stören. Wie auf einem Fest üblich, alkoholische Getränke zu trinken, habe ich mich noch nicht getraut und glaube, das ist auch gut so. Eine festliche Malzeit zuzubereiten habe ich auch noch nicht gewagt, obwohl diese Fahrt wegen der ruhigen See die erste Gelegenheit dazu geboten hätte. Ein wenig Salat aus der Kühlbox, ein paar Würstchen und Bananen müssen es auch bringen. Eigentlich ist es ungeheuer langweilig, wenn man nicht gerade diesen unglaublich schönen Sternenhimmel anschaut. Das hilft aber nur für ein paar Stunden, aber nicht über eine ganze Nacht. Ich habe in der Tat keine Empfehlung und quäle mich durchaus über die Zeit. Manchmal gelingt es mir, ein wenig zu schlafen und wenn da nicht eine innere Stimme mich immer wieder zu einem kurzen Rundumblick veranlassen würde, wäre es wirklich hilfreich.

Als der Wind später ganz einschlief, verhalfen 2000 Umdrehungen pro Minute zu den erwünschten 5 Knoten.

Es ist immer wieder ein erhebendes Bild, wenn man den Sonnenuntergang auf dem Meer entgegenfährt. Wenn dann das Meer auch noch so aussieht, wie auf diesem Bild, dann kommt richtige Hochstimmung auf.

Die Nacht bei fast sternenklarem Himmel war wie so oft schon ein Ereignis für sich. Diese helle Michstraße vom Horizont zum Horizont ist einfach unglaublich. Ich fühle mich dabei sehr wohl, denn es ist entspannend, dass man alles, was sich technisch bewegt, auf dem Wasser hervorragend sehen kann wenn es wichtig wird, da alle Beteiligten über eine hervorragend erkenn- und identifizierbare Beleuchtung verfügen. Über die großen „Fischfabriken“, die wie die BASF in Ludwigshafen bei Nacht leuchten, ganz zu schweigen. Das AIS-System ergänzt das Ganze sinnvoll. Es wird dabei deutlich, wie wenig sich eigentlich auf dem Meer an Fahrverkehr abspielt, wenn man dessen riesige Fläche berücksichtigt. Natürlich nimmt man unwillkürlich an, wenn man in der Ferne zahlreiche Fischer bei der Arbeit sieht, dass man kaum Platz für eine konfliktfreie Durchfahrt durch diese Rudel an Schiffen haben wird. Wenn man dann allerdings mitten drin ist, in diesem Rudel, dann stellt man fest, dass die Schiffe kilometerweit voneinander entfernt arbeiten. Die Dunkelheit der Nacht verstärkt den Eindruck der Enge enorm. Entfernungen lassen sich nur sehr schlecht schätzen. Eine mit Blitzlicht ausgestattete Boje, die Du weit weg wähnst, „rast“ plötzlich dicht an Deiner Bordwand vorbei.

Ganz nebenbei: Wie ein großer Pfauenaugenfalter anscheinend in dieser Nacht zu mir an Bord kam, bleibt mir ein Rätsel. Er gab mir die Ehre seines Besuchs für zwei Tage und ich habe ihn dann beim Verlassen der Odd@Sea am Morgen in Cherbourg sanft unterstützt. Ob er diese kostenlose Mitnahme gewürdigt hat, bleibt mir unklar.

Ich verwendete eine spezielle Fahrtaktik für solche längeren Fahrten, bei denen man die erreichbare Geschwindigkeit nicht so gut voraussagen kann, da man nicht die ganze Zeit mit Sicherheit segeln kann. Ich halte eine typische Fahrgeschwindigkeit von 5 Knoten möglichst konstant, entsprechend der vorher festgelegten Planung. Was die Segel an Fahrt nicht liefern können, wird mit Motorschub dazu geliefert, aber auch nur das. Bei mehr als 5 Knoten unter Segel wird er abgeschaltet. Wenn mehr als 2000 U/Min. erforderlich wären, dann bleibt es bei dieser Drehzahl, auch wenn man den VOLVO mit max. 3500 U/Min. fahren könnte. Das spart Sprit, liefert eine bessere Planungssicherheit beim Umgang mit Wetteränderungen und es verbleibt eine kräftige Schubreserve für den Notfall. Mein Tank war weniger als halb voll und es erschien mir aus wirtschaftlichen Gründen günstig, mit möglichst leerem Tank am Zielort aufzuwarten. Allerdings beschlich mich dann mit fortschreitender Zeit unter Motor mehr und mehr die Ahnung, dass es, wenn überhaupt nicht viel gesegelt werden kann, knapp werden könnte mit dem Treibstoff.

Den aktuellen Tankinhalt zu messen ist eine sehr aufwändige Angelegenheit und während der Fahrt nicht wirklich zu realisieren. Die Tankanzeige wirkt eher als eine grobe Schätzung. Nach einem wunderbaren Tag und einer noch schöneren Nacht auf dem Meer bewegte mich mein Inneres dann schließlich dazu, den Ausflug zu verkürzen und nur bis Cherbourg zu fahren. Dort kam ich etwa eine Stunde vor Sonnenaufgang bei dem stärksten Wind der Tour an und war zunächst fast überfordert, in völliger Dunkelheit in einem Wirrwarr von Signallichtern das „Loch“ für die auserwählte Marina zu finden. Beinahe hätte ich einen langen und hohen Wellenbrecher für die Einfahrt gehalten, konnte aber kurz vor der Katastrophe noch aufstoppen. Dass ich den wirklichen Abstand für den vor mir liegenden Steinwall nicht wirklich sehen konnte war eher ein Segen, denn es war fast paralysierend, was mir da gerade passiert war.

Nicht nur ich hatte zu dieser Zeit Probleme mit dem riesigen Hafen mit zwei sehr großen und unübersichtlichen doppelten Vorhäfen, sondern offensichtlich auch der Skipper einer anderen Yacht, die das gleiche Ziel hatten wie ich. Mit größter Vorsicht und wenig Fahrt schlichen wir beide nach ein paar Suchrunden dann letztlich in die riesige Marina hinein und machten dort fest. Wir beide stellten der einzige Verkehr in diesem riesigen Hafen dar.

Ich fiel sofort ins Bett und kann mich nicht daran erinnern, dass ich überhaupt unter meiner Bettdecke verschwand, denn ich war da schon eingeschlafen. Um die Mittagszeit wachte ich sehr wach wieder auf und war sofort fit genug, um ein gutes Frühstück einzunehmen und mich beim Hafenmeister anzumelden. Gestern Abend habe ich dann feststellen können, dass ich zusammen mit einem vollen Reservetank, den ich bei der Planung nicht berücksichtigt hatte, wahrscheinlich so gerade bis nach Guernsey gekommen wäre. So etwas kann durchaus sehr schief gehen, Wirtschaftlichkeit hin oder her.

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