30.10.2019 Das Wetterfenster nach Südwesten hat sich geschlossen und ich hänge erst einmal für eine Weile fest auf Guernsey

Der Wind aus östlicher Richtung wurde seit Sonntag z.T. mit bis zu 40 Knoten in den Böen immer stärker, sodass ich nicht gleich in Richtung Brest weiterfahren konnte. Am Mittwoch wird es einen Schwenk in die westliche Richtung mit bis zu 51 Knoten geben, was mir eine Weiterfahrt ebenso verbietet. Bisher scheint diese neue Wetterphase mindestens eine weitere Woche anzuhalten.

So schön St. Peter Port auch ist, mein Aufenthalt hier im Hafen wurde bestimmt von einem extrem hohen Schwell im Hafenbecken jeweils immer dann, wenn das Wasser die Schwellenhöhe von etwa 2,5 Metern an der Einfahrt überstieg. Bei Wind aus östlichen Richtungen trieb diese Welle durch den wenig geschützten Vorhafen und die schmale Einfahrt ins Hafenbecken z.T. mit bis zu 2 Metern, die sich dann durch Reflektionen im gesamten Becken chaotisch mit etwa 1 Meter Höhe ausbreitet. Zusätzlich pfeift der Wind insbesondere bei Hochwasser, welches dann fast bis zur Straßenhöhe reicht, um die Masten und erhöht noch diese Dynamik. Es sind z. Zt. nur vier Yachten in diesem Becken, aber diese tanzen dann an den gleichfalls tanzenden Schwimmstegen wie wild. Ich habe sechs Leinen befestigt, um zu verhindern, dass bei einem Leinenbruch, der sich angesichts der heftigen Bewegungen in alle drei Richtungen durchaus passieren kann, die Odd@Sea sich von Steg löst und durch den Hafen marschiert. Da die Leinen bei jedem Festkommen erheblichen Lärm veranstalten und das Schiff und seinen Insassen ruckartig in alle Richtungen beschleunigt, ist an Schlaf nicht zu denken. Auch die Stege selber machen richtig laute Schlaggeräusche bei ihren heftigen Bewegungen, bei denen einem angst und bange wird. Welche Wirkung dieses externe metallische Krachen auf den Skipper hat, kann sich jeder selbst vorstellen. Diese Geräusche hören sich übrigens von außen sehr viel harmloser an, als von innen. Das wird mir immer ein Rätsel bleiben. Vielleicht geschieht die Schallübertragung hierbei direkt vom Ponton in den Metallrumpf über das Wasser mit seiner großen Schallgeschwindigkeit und geringer Dämpfung.

Akademisch gesehen liegt hier eine solche, in der Mechanik als dynamisches Mehrkörpersystem bezeichnete Situation vor, welche die Grenze des Berechenbaren überschreitet. Vom Phänomen her wirken hierbei ein flüssiges System (in drei Richtungen bewegtes Wasser) als alles dominierender Motor, ein gasförmiges System (frei bewegte Luft), ein in sich bereits als elastisches Mehrkörpersystem wirkendes System von zahlreichen, miteinander gelenkig verbundenen, schwimmenden Pontons mit jeweils drei Freiheitsgraden und sehr großer Masse, vier bis sechs stark elastische Leinen pro Schiff sowie mehrere Schiffe mit jeweils drei rotatorischen und drei translatorischen Freiheitsgraden komplex zusammen. Ist man sich dessen bewusst, kann man sich beim Erleben dieses Szenarios etwas besser vorstellen, wie man die Leinen entsprechend ihrer Aufgaben zweckgemäß legen sollte und sich mit diesem Wissen dann wenigstens etwas beruhigter in die Koje legen, als wenn man „nur Angst“ hat. So etwas nennt man dann Beschäftigungstherapie als Ersatz für das Schlafen.

Ich kann aus stundenlangen Erleben dieser extrem dynamischen Situation nur abschätzend sagen, dass natürlich die Wellenhöhe entscheidend für das Gesamtszenario ist, die eigentlich kaum zu interpretierende Dynamik jedoch hauptsächlich durch die Stege verursacht wird. Gott sei Dank kommt es hierbei erfahrungsgemäß nicht zu Resonanzkatastrophen, da die vielen Mitwirkenden, an meinem Steg liegen z. Zt. 4 Yachten, die auch ihr Eigenleben unabgestimmt auf den Steg mittels deren Leinen übertragen. Das Alles macht das absolut Chaotische dieses Szenarios aus, welches ich beim Beobachten stets ohne Erfolg zu erklären versuche, auch um mich zu beruhigen.

Dieser ganze Spuk ist aber dann sofort wieder vorbei, wenn der Wasserstand unter die Schwellenhöhe kommt. Dann liegt man hier für jeweils etwa 6 Stunden auch bei unveränderten Wetterbedingungen wegen der dann fehlenden Welle wie eingegossen und der Skipper kann sich wieder gut erholen.

Da sich morgen der Wind drehen wird, werde ich hier bleiben, obwohl es eine Alternative im Norden der Insel gibt, die diese Probleme nicht kennt. Ich kenne St. Peter Port bereits von meinem ersten Törn und hatte hier wunderbare Bedingungen vorgefunden. Der für die kommenden Tage angesagte Sturm aus West wird hier durch die Insel vollständig abgedeckt. Es sollte also dann sicher sein an diesem Ort. Wann es dann wieder weitergeht, kann ich heute überhaupt nicht sagen.

Vor einem Jahr habe ich gerade 16 Tage von Guernsey bis nach Cuxhaven benötigt. In diesem Jahr in umgekehrter Richtung bin ich bereits seit mehr als 8 Wochen unterwegs.

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